Ebenfalls gutgläubig kaufen wir KonsumentInnen Schweizer Produkte und zahlen mehr für sie in der Überzeugung, etwas für die Tiere, die Umwelt, die Artenvielfalt und nicht zuletzt für das eigene Wohlbefinden zu tun. Das stimmt manchmal, manchmal auch nicht, denn Bauer ist nicht gleich Bauer. Nicht alle Bauernhöfe sind wie die Vorzeigeobjekte in den Coop-, Migros- und Bio-Magazinen. Die Beanstandungsstatistik im Agrarbericht des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) zeigt (Agrarbericht 2010, Anhang A50 und A51), dass relativ viele Bauern gegen die Vorgaben und Gesetze verstossen. Das ist verständlich, denn ihre Einhaltung ist mit Arbeit oder Kosten verbunden und das Risiko, bei einem Verstoss erwischt und bestraft zu werden, ist sehr gering. Obwohl uns die Statistik der Beanstandungen etwas anderes glauben machen soll, weiss Heidi, dass die Kontrollen der Landwirtschaftsbetriebe eher zur Beruhigung der Steuerzahlenden sind, denn echte Kontrollen. Die Beanstandungen in der Statistik sind somit nur die Spitze eines Eisbergs.
Heidi frägt sich, ob das Kontrollsystem vom BLW oder der Bauernlobby erfunden worden ist: Als Steuerzahlerin bzw. Konsumentin glaubte Heidi früher, dass die Einhaltung der Vorgaben und Gesetze im Auftrag des Staates kontrolliert würden. Weit gefehlt! Der Bauer selbst bestellt als Kunde „seine“ Kontrolle beim Kontrolldienst „seiner“ Wahl. Der Kunde ist König und die Konkurrenz zwischen den Kontrolldiensten spielt gut.
Nehmen wir einmal an, der Alm-Öhi bestellt für seinen Betrieb den Geissenpeter als Kontrolleur (ist kein Witz, die meisten Kontrolleure sind Bauern). Alle vier Jahre müsste der Geissenpeter dem Alm-Öhi einen Besuch abstatten. Damit der Alm-Öhi von der Kontrolle nicht überrascht wird, kündigt sie der Geissenpeter frühzeitig an. Heidi wird zusammen mit dem Grossvater den Betrieb ordentlich herrichten, was nicht erlaubt ist, verstecken und die „richtigen“ Daten ins Sonnenlicht stellen, damit der Geissenpeter die Kontrollberichte – vielleicht bei Kaffee und frisch gebackenem Kuchen – rasch abhaken kann.
Theoretisch gäbe es viel zu kontrollieren, nicht nur die Miststöcke. Im Moment hat das BLW die totale Revision der Inspektionskoordinationsverordnung (VKIL) in die Vernehmlassung geschickt. Die Sonntagszeitung vom 5.6.11 titelt dazu: Trotz EHEC-Seuche: Bund will Kontrollen bei Bauern abbauen. Heidi möchte keine Kontrolleuse sein, denn es ist nicht möglich, die Vorgaben von so vielen Verordnungen (siehe unten) in einer einzigen Kontrolle zu prüfen. Der Bauernhof verändert sich im Laufe des Jahres, man kann gar nicht alles gleichzeitig kontrollieren. So macht beispielsweise die Tierschutzkontrolle des Geissenpeters im Sommer, wo die Tiere auf der Alp sind, wenig Sinn. Doch er muss das entsprechende Häkchen auf den Kontrollbericht setzen, weil er den Alm-Öhi höchstens 1 Mal pro Jahr kontrollieren darf. Das steht nämlich in der VKIL (wohl im Auftrag der Bauernlobby).
Der Geissenpeter möchte dem Alm-Öhi keine allzu grosse Rechnung für die Kontrolle schicken, sonst wählt dieser das nächste Mal einen anderen Kontrolldienst, der die Kontrolle dann noch schneller und günstiger erledigt. Also muss sich der Geissenpeter beeilen. Neben dem Abhaken der Kontrollberichte für X Verordnungen – Heidi hat unten einen Link auf alle Verordnungen gemacht – hat der Geissenpeter nur wenig bis überhaupt keine Zeit mehr für die Besichtigung aller Ställe, aller Miststöcke auf den Wiesen und Felder. Das ist auch gut so, denn so hat der Geissenpeter keine oder nur wenige Verstösse auf den Kontrollberichten zu notieren. Würde er viel beanstanden, dann hätte der Alm-Öhi nämlich gar keine Freude, weil er dadurch Direktzahlungen verlieren würde. Den nächsten Kontrollauftrag würde er dann wohl einem anderen Kontrolldienst vergeben.
Heidi könnte jetzt viele Seiten füllen mit Kuriositäten im Kontrollsystem. Sie beschränkt sich darauf, einen Link zur Revision der VKIL zu setzen und auf alle Verordnungen, die alle vier Jahre anlässlich einer einzigen Kontrolle zu berücksichtigen sind bzw. wären. Dies ist der 98. Blog-Artikel, den Heidi schreibt, in den meisten kommt die mangelnde Kontrolle im Kanton Graubünden zum Ausdruck. Das Kontrollsystem ist aber in allen Kantonen das gleiche, so dass nicht anzunehmen ist, dass nur im Kanton Graubünden einiges schief läuft. Schwarze Schafe gibt es überall, siehe auch Kommentar zum Gewässerschutzgesetz.
Vertrauen ist gut, Kontrolle wäre besser! Heidi schlägt einen Neuanfang vor, im Bundesamt für Landwirtschaft gibt es sicher einen Papierkorb für die Revision der VKIL, sonst würde Heidi gerne einen grossen schönen stiften.
Anhörung zur totalen Revision der Inspektionskoordinationsverordnung (VKIL), Bundesamt für Landwirtschaft
a. Tierschutzverordnung vom 23. April 2008, SR 455.1
b. Tierarzneimittelverordnung vom 18. August 2004, SR 812.212.27
c. Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998, SR 814.201
d. Direktzahlungsverordnung vom 7. Dezember 1998, SR 910.13
e. Sömmerungsbeitragsverordnung vom 14. November 2007, SR 910.133
f. Ackerbaubeitragsverordnung vom 7. Dezember 1998, SR 910.17
g. Bio-Verordnung vom 22. September 1997, SR 910.18
h. Verordnung vom 23. November 2005 über die Primärproduktion, SR 916.020
i. Milchprüfungsverordnung vom 20. Oktober 2010, SR 916.351.0
j. Tierseuchenverordnung vom 27. Juni 1995, SR 916.401
k. TVD-Verordnung vom 23. November 2007, SR 916.404
l. Tierzuchtverordnung vom 14. November 2007, SR 916.310
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Schlagwörter: Bauernlobby, BLW, Bundesamt für Landwirtschaft, Direktzahlungen, EHEC, Gewässerschutz, Hofdünger, Inspektionskoordinationsverordnung, Kontrolle, Landwirtschaft, VKIL
16. Juni 2011 um 18:23 |
Ciao Heidi
Schön, dass Du dir Gedanken über die Schweizer Landwirtschaft machst!
Gelegentlich schweife auch ich mit meine Gedanken etwas ab und überlege mir allerhand Dinge..
Zum Beispiel überlegte ich mir, ob wirklich jeder Geissenpeter die landwirtschaftlichen Betriebe kontrollieren kann. Ich kam zum Schluss, dass dies der Fall ist, sofern auch jeder Geissenpeter nach ISO/IEC 17020 zertifiziert ist.
Weiter überlegte ich mir, ob wirklich jeder landwirtschaftlicher Betrieb in der Schweiz nach der „Bio-Verordnung vom 22. September“ kontrolliert wird. Ich denke nicht. Du?
Auch fragte ich mich, wie viel Zeit wohl die Kontrolle der „TVD-Verordnung vom 23. Novermber 2007“ beansprucht. Ich weiss es nicht, aber nach meiner Vorstellung handelt es sich dabei um eine elektronische Datenbank und die Kontrolle kann per Knopfdruck durchgeführt werden.
Kannst Du mir sagen wie das gehandhabt wird?
Mit vielen lieben Grüssen
Hulk
20. Juni 2011 um 11:04 |
Lieber Hulk
Ich kann dir erst jetzt antworten, weil ich zwei Tage lang bei Regen die Bündner Landwirtschaft von der sonnigen Seite gesehen habe, vielleicht hast du meinen neuesten Artikel gelesen. Zu deinen Fragen:
*** Wie streng der Geissenpeter den Bauernhof des Alm-Öhi am Tag X tatsächlich kontrolliert und ob der Geissenpeter alle Verstösse, die er trotz der Vorbereitungen des Alm-Öhis und trotz des Schnellzugtempos bei der Kontrolle entdeckt hat, auf den Kontrollbericht schreibt, wissen nur gerade 2 Personen, nämlich der Geissenpeter und der Alm-Öhi. Weder der Chef des Geissenpeters, noch die Zertifizierungsstelle wissen, was bei der Kontrolle genau abgelaufen ist. Deshalb meint Heidi, dass die Zertifizierung eine Augenwischerei ist. Wenn du, lieber Hulk, gleich viele Verstösse (Miststöcke auf Pufferstreifen, fehlende Pufferstreifen, Gewässer- und Tierschutzverstösse usw.) gesehen hättest wie Heidi, dann würde dies vielleicht auch deinen Glauben an die Zertifizierung ins Wanken bringen.
*** Du hast Recht, in Bezug auf die genaue Anzahl der Verordnungen war Heidi zu wenig präzis, sie hat jetzt die entsprechenden Stellen angepasst. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sehr viele Punkte an ein und demselben Tag kontrolliert werden müssten. Wie würdest du etwa die Pufferstreifen kontrollieren? Zum Beispiel im Winter, wenn Schnee liegt?
*** Aus jeder Datenbank kann man vieles per Knopfdruck „herausholen“. Es stellt sich aber immer die Frage, ob die in die Datenbank eingegebenen Daten korrekt sind. Bei der TVD könnte der Geissenpeter zum Beispiel kontrollieren, ob die Tierzahl, die in der TVD gespeichert ist und für die der Alm-Öhi Beiträge bekommt, mit der Tierzahl im Stall übereinstimmt. Wenn die Tiere bei der Kontrolle auf der Alp sind, kann der Geissenpeter die TVD-Daten nicht prüfen. Im Prinzip gilt dasselbe für viele weiteren Punkte der vielen Verordnungen.
Kontrolleuse möchte Heidi wirklich nicht sein, manchmal tun ihr ja auch die Bauern leid, die guten Willens sind und doch mit den Vorschriften und Richtlinien und und … ohne bösen Willen ihre liebe Mühe haben. Darüber hat Heidi schon geschrieben, z.B.: Vielfalt der Gesetze und Weisungen
https://heidismist.wordpress.com/2011/03/07/vielfalt-der-gesetze-und-weisungen/
Heidi ist froh, wenn Leute wie du, lieber Hulk, sich auch Gedanken machen, denn im Stillen fluchen oder nachplappern, was andere sagen, führt uns nicht weiter.
Herzliche Grüsse
Heidi
8. März 2020 um 20:42 |
[…] Das BLW verteilt jedes Jahr fast 3 Milliarden Franken Steuergelder gutgläubig an die Bauern. Heidis Mist vom 14.6.11 […]