Der Geissenpeter kam auf dem Heimweg bei Heidi und dem Alpöhi vorbei. Der Öhi hatte gerade mit Melken begonnen, Heidi genoss den Sonnenuntergang auf der Bank vor der Hütte. Unten im Tal rauschte die Autobahn. Peter begrüsste die beiden und setzte sich dann zu Heidi.
Peter: „Kannst du mir jetzt noch den Unterschied zwischen den verschiedenen Werten erklären?“
Heidi: „Tschau Peter! Klar, fangen wir grad an, ich muss dann noch das Nachtessen richten!“
Peter: „Wie sieht das bei den Grenzwerten aus?“
Heidi: „Wie bei den Anforderungswerten für die Wasserqualität in Gewässern muss das Ziel sein: So wenig verunreinigt wie möglich! Dasselbe gilt für die Toleranzwerte.
Grenz- und Toleranzwerte regeln die Höchstwerte von Zusatz-, Fremd- und Inhaltsstoffen sowie Mikroorganismen in Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs. Im Lebensmittelgesetz (LMG) sind die entsprechenden Grundsätze festgehalten. Das LMG bezweckt, die KonsumentInnen vor verunreinigten Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen zu schützen, welche die Gesundheit gefährden könnten. Auch soll es den hygienischen Umgang mit Lebensmitteln sicherstellen und die KonsumentInnen vor Täuschungen schützen.
Die Einzelheiten zu potentiell gesundheitsgefährdenden Stoffen sind in der Fremd- und Inhaltsstoffverordnung (FIV) geregelt. Dort findest du ellenlange Tabellen mit den Toleranz- und/oder Grenzwerten. Festgelegt werden die Grenzwerte aufgrund von toxikologischen und epidemiologischen Studien. Art. 10 Abs. 1 und 2 des LMG. Wenn es nach dem Stand der Technik möglich ist, noch besser zu produzieren, dann können Toleranzwerte festgelegt werden, die tiefer sind als die Grenzwerte.
Wenn ein Grenzwert überschritten wird, dann gilt das betreffende Lebensmittel als ungeeignet für die menschliche Ernährung. Das interpretiere ich so, dass es weder gegessen, noch verkauft werden darf. Eine betroffene Quelle muss vom Trinkwassernetz abgekoppelt werden.
Anders beim Toleranzwert. Das Überschreiten eines Toleranzwerts zeigt an, dass ein Produkt verunreinigt oder sonst im Wert vermindert ist. Das Lebensmittel wird lediglich beanstandet, und es müssen Massnahmen getroffen werden, um die Situation in Ordnung zu bringen. Der Toleranzwert liegt tiefer als dies für den Schutz der Gesundheit nötig ist.
Auch wenn Grenzwerte toxikologisch begründet sind, heisst dies nicht, dass man bei der Einnahme des Stoffes tot umfällt, sondern dass eine regelmässige Belastung über längere Zeit schädlich sein kann. Epidemiologisch begründete Grenzwerte betreffen Krankheitserreger; diese können hingegen schon bei einmaliger Einnahme schaden oder gar töten. Es gibt noch weitere Gründe für die Festsetzung eines Wertes: optische und geschmackliche z.B. beim Aluminium im Trinkwasser, umwelthygienische, technische oder ökologische. Werte werden immer wieder an den Stand des Wissens angepasst.
Auch hier gilt: Man weiss vieles nicht, die Menschen sind unterschiedlich empfindlich. Es gibt grosse Unterschiede zwischen Föten, Jungen und Alten, Frauen und Männern, Gesunden und Kranken. Unterschiedliche Kombinationen mehrerer Schadstoffe können andere Wirkungen verursachen, als jeder Stoff für sich. Ich meine – und das liest man auch immer wieder – gewisse Werte sind auch politisch begründet oder das Ergebnis eines Kompromisses.“
Peter: „Kurz gesagt:
- Anforderungswerte an die Wasserqualität von Gewässern und Toleranzwerte von Lebensmitteln sind deutliche Warnsignale; sie zeigen eine Verunreinigung an. Es muss gehandelt werden.
- Grenzwerte sind Stoppsignale. Das Produkt ist ungeniessbar.“

Für Tafeltrauben gilt ein Grenzwert von 0,2 mg/kg Bifenthrin (Pflanzenschutzmittel), für Keltertrauben ein Toleranzwert von 0,2 mg/kg. Wieso wohl? Heidi vermutet, dass der Unterschied deshalb besteht, weil man bei den Tafeltrauben die ganze Frucht isst und damit auch das Bifenthrin auf der Haut. Beim Keltern hingegen dürfte vermutlich ein Teil des Bifenthrins im Trester zurückbleiben; es gelangt also nicht in den Traubensaft bzw. Wein. In Deutschland und Österreich sind keine Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff zugelassen, in der Schweiz ist ein einziges (Talstar SC) erlaubt.
Heidi: „Ja. Du musst einmal in der FIV blättern. Für die meisten Produkte ist entweder ein Toleranz- oder ein Grenzwert angegeben, selten beides. Oft wird lediglich auf den Rückstandshöchstgehalt der EU-Gesetzgebung verwiesen. In der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 z.B. findest du die ‚Rückstandshöchstgehalte von Pestiziden, die in Erzeugnissen tierischen oder pflanzlichen Ursprungs für den menschlichen oder tierischen Verzehr erlaubt sind‘. Es gibt in der EU nur einen Wert. Dieser gilt in der Schweiz generell als Toleranzwert. Bei einigen Pestiziden wurden die Werte 2013 angepasst, z.B. jener von Glyphosat, siehe Verordnung (EU) Nr. 293/2013. Für Glyphosat gilt in der Schweiz der EU-Wert, es ist also ein Toleranzwert.
Weil die Schweiz zwei unterschiedliche Werte kennt, könnte sie Schwierigkeiten mit dem freien Warenaustausch bekommen, künftige Änderungen sind also möglich.“
Peter: „Wie steht es mit dem Trinkwasser?“
Heidi: „Wenn im Trinkwasser z.B. der Grenzwert für Cadmium von 0,003 mg/l überschritten wird, darf es nicht mehr konsumiert werden. Für Nitrat ist lediglich ein Toleranzwert festgelegt, er beträgt 40 mg/l. Wird dieser überschritten, besteht Handlungsbedarf, aber die Quelle muss nicht zwingend vom Netz abgehängt werden.
Du siehst also auch, dass der Anforderungswert an die Wasserqualität von 25 mg/l Nitrat im Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird, tiefer ist als der Toleranzwert für Trinkwasser. Er entspricht der maximal zu erwartenden Nitratbelastung im Grundwasser bei guter landwirtschaftlicher Praxis und weniger als 65% offener Ackerfläche. Der Anforderungswert bietet Spielraum für Sanierungsmassnahmen, so dass also das Überschreiten des Toleranzwertes meist vermieden werden könnte.“
Zu den Ausnahmen gehört Chlorpropham. Dies ist der am häufigsten eingesetzte Stoff zur Hemmung der Keimung von Kartoffeln während der Lagerung. Die Entscheidungsträger haben einen Toleranzwert von 10 mg/kg und einen Grenzwert von 30 mg/kg festgelegt; 2005 war der Toleranzwert noch tiefer, er betrug nämlich nur 5 mg/kg. In Deutschland beträgt der Rückstandshöchstwert 10 mg/kg, er entspricht also unserem Toleranzwert.
Chlorpropham ist für den Menschen gesundheitsschädlich und möglicherweise krebserregend. Beobachtete Nebenwirkungen: Depressionen, Anfälle, Bewegungsstörungen, Nervenschäden, Verdauungsstörungen mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Über Langzeitwirkungen weiss man noch wenig. Entgegen landläufiger Meinung reicht es nicht, behandelte Kartoffeln zu waschen oder zu schälen, um die Substanz zu entfernen. Bio-Kartoffeln dürfen nicht mit Chlorpropham behandelt werden.
Peter: „Die SchweizerInnen essen immer weniger Kartoffeln, dann schadet dies der Gesundheit wohl nicht sehr!“
Heidi: „Lassen wir das! Möchtest du absolut unbehandelte Charlotte aus unserem Garten mitnehmen? Ich habe noch einen kleinen Vorrat im Keller. Gekeimt sind sie bisher kaum.“
Peter: „Gerne. Grossmutter mag besonders, wenn ich daraus Kartoffelsalat zubereite.“
Peter: „Wie werden die Rückstandshöchstwerte in der EU gehandhabt?“
Heidi: „Das weiss ich nicht. Ich habe Herrn Sesemann gefragt, was genau der Rückstandshöchstwert in Deutschland bedeutet; sobald ich die Antwort bekomme, werde ich dir das mitteilen. Er ist gerade auf einer Geschäftsreise.“
Alpöhi: „Ich habe Hunger. Peter, wenn du willst, kannst du mit uns Znacht essen.
Gewässerschutz-Ziele: Kluft zwischen Gesetz und Wirklichkeit!, Heidis Mist 6.1.16
Theoretisch sind Grundwasser, Bäche und Flüsse gut geschützt, Heidis Mist 24.1.16
14.2.2016 HOME
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