Heidi hat einen Hinweis auf folgenden Beitrag von Global 2000 erhalten: Konventionelle und biologische Pestizide im Vergleich, 23.2.23. Sie hatte schon am 7.12.22 über die wissenschaftliche Studie berichtet, die diesem Beitrag zugrunde liegt: Toxische Pestizide: So weit haben wir es gebracht! Weil das Thema so wichtig ist, zitiert Heidi im Folgenden aus dem Artikel von Global 2000:
„Die BefürworterInnen der industriellen Landwirtschaft behaupten, Bio-Bäuerinnen und -Bauern würden Gifte sprühen – und das nicht zu knapp. Ob Chemie oder Naturstoff spiele keine Rolle. Damit beschädigen sie den Ruf der Bio-Landwirtschaft. Zeit für einen Faktencheck!
Die negativen Auswirkungen des massenhaften Einsatzes von Pestiziden auf die biologische Vielfalt, das Klima und die Gesundheit nehmen stetig zu. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, hat die EU-Kommission im Mai 2020 im Rahmen des European Green Deal die Farm to Fork-Strategie vorgestellt.
Damit soll der Übergang zu einem fairen, widerstandsfähigen und artenfreundlichen Landwirtschafts- und Lebensmittelsystem in Europa eingeleitet werden. Zu den wichtigsten Massnahmen gehören:
- Schutz sensibler Gebiete vor negativen Pestizidwirkungen
- Halbierung des Einsatzes und der Risiken von Pestiziden
- Ausweitung der Bio-Landwirtschaft auf 25% der landwirtschaftlichen Nutzfläche bis 2030
Pestizide im Vergleich
BefürworterInnen der industriellen Landwirtschaft sind der Meinung, dass die biologische Landwirtschaft nicht das sei, was sie vorgibt zu sein. Dabei argumentieren sie vor allem mit zwei Behauptungen:
- Bio-Bäuerinnen und -Bauern verwenden Pestizide, und zwar ähnlich häufig wie konventionelle.
- Bio-konforme, natürliche Pestizid-Wirkstoffe sind ähnlich giftig wie synthetische.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Johann Zaller von der BOKU (Universität für Bodenkultur Wien) haben wir im Auftrag von IFOAM Organics Europe, dem Europäischen Dachverband der Bio-Landwirtschaft, die Behauptungen einem Faktencheck unterzogen. Dabei wurde auch ein systematisch toxikologischer Vergleich durchgeführt.
Getestet wurden:
- 256 Pestizide, die in der konventionellen Landwirtschaft zugelassen sind
- 134 Pestizide, die auch in der biologischen Landwirtschaft erlaubt sind
Sind konventionelle und biologische Pestizide ähnlich giftig?
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Antwort lautet: nein. Nimmt man die Gefahren-Klassifizierungen und gesundheitliche Richtwerte aus dem EU-Zulassungsverfahren als Massstab für die Bewertung der Giftigkeit von Pestiziden – dann sind die synthetischen deutlich gefährlicher als die natürlichen.
Stellt man die Pestizide anhand ihrer Gefahren-Klassifizierung gegenüber, so zeigen sich deutliche Unterschiede:
- 55% der meist synthetischen Pestizid-Wirkstoffe, die in der konventionellen Landwirtschaft zugelassen sind, tragen zwischen 1 und 9 Gefahrenhinweise.
- 3% der natürlichen Pestizid-Wirkstoffe, die auch in der biologischen Landwirtschaft erlaubt sind, tragen zwischen 1 und 5 Gefahrenhinweise.
Nach genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass sich in 16% der in der konventionellen Landwirtschaft verwendeten Pestizide Warnhinweise über mögliche Schäden für das ungeborene Kind, den Verdacht auf Karzinogenität oder akute tödliche Wirkungen finden, aber in keinem Pestizid mit Bio-Zulassung!
40% der synthetischen Pestizid-Wirkstoffe werden als sehr giftig für Wasserorganismen eingestuft, aber nur 1,5% der natürlichen Pestizid-Wirkstoffe.
Keine dieser Gefahren kann derzeit bei den natürlichen Pestizid-Wirkstoffen, die in der Bio-Landwirtschaft erlaubt sind, festgestellt werden.
Unterschiede zwischen den Pestiziden zeigen sich auch, wenn man die gesundheitsbezogenen Richtwerte als Massstab heranzieht: In 93% der meist synthetischen Pestizid-Wirkstoffe, die in der konventionellen Landwirtschaft zugelassen sind, aber nur in 7% der natürlichen Pestizid-Wirkstoffe, die auch in der biologischen Landwirtschaft erlaubt sind, wurde die Festlegung gesundheitsbezogener Richtwerte von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als relevant erachtet.
Die Gegenüberstellung zeigt, dass den biologischen Pestiziden ein deutlich geringeres Risikopotenzial für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zugeschrieben wird, als den konventionellen.
Eine Erklärung für den erheblichen Unterschied in der Giftigkeit liegt in der Art und Herkunft der jeweiligen Pestizid-Wirkstoffe. Fast 90% der 256 konventionellen Pestizide bestehen aus synthetisch hergestellten Substanzen der Erdölchemie.
Im Gegensatz dazu sind alle 134 biologischen Pestizide natürliche oder natürlich gewonnene Stoffe (wie in der EU-Öko-Verordnung (EU) 2018/848 gefordert).
Nun wissen wir, dass „natürlich“ nicht automatisch „ungiftig“ bedeutet. Denken Sie zum Beispiel an die tödlichen Gifte einiger Pflanzen oder Schlangen. Schaut man sich aber die in der EU-Pestiziddatenbank gelisteten biologischen Pestizide an, stellt man schnell fest, dass deren überwiegende Mehrheit aus Substanzen besteht, die als ungiftig gelten können. So sind 75 nicht einmal „Stoffe“ im eigentlichen Sinne, sondern lebende Mikroorganismen (z.B.: Bakterien oder Pilze).
Dieser signifikante Unterschied im Gefahrenprofil der biologischen und konventionellen Pestiziden hängt mit einer grundlegend anderen Wirkungsweise zusammen:
Fast alle synthetischen Pestizid-Wirkstoffe entfalten ihre Wirkung durch Beeinflussung biochemischer Prozesse in den jeweiligen Zielorganismen (z.B.: Schädlinge). Sie wirken als sogenannte „Single-Site“-Inhibitoren von Enzymen oder Rezeptoren. Diese sind für den Zellstoffwechsel und für die Kommunikation innerhalb der Zelle und zwischen verschiedenen Zellen wesentlich. Das grosse Problem daran ist, dass unerwünschte Nebenwirkungen in Nicht-Zielorganismen (z.B.: bei Nützlinge) auftreten können.
Unter den biologischen Pestiziden findet sich solch ein Wirkungsmodus nur bei den Insektiziden „Azadirachtin“, „Pyrethrinen“ und „Spinosad“. Das Insektizid „Azadirachtin“ hemmt die hormonell induzierte Häutung von Insektenlarven. Die Insektizide „Pyrethrine“ als auch „Spinosad“ drosseln die Übertragung von Nervenimpulsen bei Insekten.
Die anderen biologischen Pestizide wirken auf andere Weise, indem sie beispielsweise Schädlinge vertreiben oder die Abwehrkräfte der Pflanze stärken. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass in der biologischen Landwirtschaft nur selten eine Resistenzentwicklung beobachtet wird.
So wirken die biologischen Pestizide
Natürliche Pestizid-Wirkstoffe, wie Essig oder Seife, wirken auf physikalisch-chemische Weise, indem sie die Zellmembran schädigen. Backnatron (Kaliumhydrogencarbonat) oder Löschkalk (Kalziumhydroxid) verändern den pH-Wert und trocknen den Zielorganismus aus. Pflanzenöle bilden eine physische Barriere zwischen der Pflanze und den Schadinsekten.
Einsatz von Pestiziden in der Bio-Landwirtschaft
Die unwahre Behauptung, biologische Pestizide seien vergleichbar giftig wie konventionelle, ist oft mit einer anderen Unterstellung verbunden: Die Häufigkeit ihrer Verwendung in der Bio-Landwirtschaft sei mit jener von synthetischen Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft vergleichbar.
Der einfachste Weg, den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu überprüfen, wäre ein Vergleich der Daten zum Pestizideinsatz. Doch leider ist dies nicht möglich. Denn obwohl die EU-Pestizidverordnung von den landwirtschaftlichen Betrieben verlangt, ihre Pestizidanwendungen detailliert und täglich zu dokumentieren, haben sich eine Gruppe von EU-Mitgliedstaaten sowie bis vor kurzem auch Bauernverbände erfolgreich gegen die Verwendung dieser Anwendungsdaten für statistische Zwecke gewehrt.
Im Juni 2022 einigten sich die EU-Mitgliedstaaten darauf, ab 2028 jährlich Daten zum Pestizideinsatz zu erheben und zu veröffentlichen. Doch bis dahin stehen nur die Verkaufsdaten zur Verfügung. Und genau auf diese Daten berufen sich die KritikerInnen der Bio-Landwirtschaft, wenn sie ihr vorwerfen, einen vergleichbaren oder sogar höheren Pestizidverbrauch zu haben als die konventionelle Landwirtschaft.
Grundlage solcher Behauptungen ist eine irreführende Interpretation der Pestizidverkaufsdaten, die die EU-Mitgliedsstaaten jährlich veröffentlichen müssen. In unserem Faktencheck haben wir für Sie ein konkretes Beispiel aus Österreich. Damit kann die Behauptung, der Pestizideinsatz in der biologischen Landwirtschaft sei mit dem in der konventionellen Landwirtschaft vergleichbar, erfolgreich widerlegt werden.
Was können KonsumentInnen tun?
Dass die in der Bio-Landwirtschaft verwendeten natürlichen Pestizid-Wirkstoffe eine ähnliche Giftigkeit aufweisen, wie die in der konventionellen Landwirtschaft verwendeten synthetischen Pestizid-Wirkstoffe, bestätigen die Ergebnisse der Studie nicht.
Daher empfehlen wir beim Einkauf auf saisonale und regionale Produkte zu achten, denn diese sind in der Regel weniger mit Pestiziden belastet. Wirklich sicher sind aber nur Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft, da hier gar keine synthetischen Pestizide eingesetzt werden dürfen.“
Den ausführlichen Bericht von Global 2000 lesen Sie hier: Konventionelle und biologische Pestizide im Vergleich. 23.2.23
Toxicological Comparison of Pesticide Active Substances Approved for Conventional vs. Organic Agriculture in Europe. Helmut Burtscher-Schaden et al. Toxics 2022, 10(12), 753; https://doi.org/10.3390/toxics10120753 2.12.22
Toxische Pestizide: So weit haben wir es gebracht! Heidis Mist 7.12.22
Pestizidreduktion in Apfelplantagen und Einfluss des Klimawandels. Heidis Mist 5.3.23

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13.3.23 HOME
Schlagwörter: 2018/848, Azadirachtin, Biolandbau, Biologische Landwirtschaft, EFSA, EU-Öko-Verordnung, Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, Farm to Fork-Strategie, Fungizide, Gesundheit, Gift, Global 2000, Helmut Burtscher-Schaden, Herbizide, IFOAM, Insektizide, Johann G. Zaller, konventionelle Landwirtschaft, lima, Naturstoff, Nützlinge, Pestizide, Pestizidverkaufsdaten, Pflanzenschutzmittel, PSM, Pyrethrine, Resistenzentwiclung, Spinosad, synthetische Pestizide, Toxizität, Umwelt, Universität für Bodenkultur Wien, Warnhinweise
15. März 2023 um 18:17 |
Liebe Heidi
Und hier das erwartbare Gegenfeuer der Chemie-Industrie: https://swiss-food.ch/artikel/ist-bio-oekologischer?twclid=241xq2trsh10mmgzdv9xfmjltp.
Any comments?
Gruss,
Martin
Ist Bio ökologischer?
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Eine Studie der Technischen Universität München (TUM) stellt die These auf, dass die biologische Landwirtschaft deutlich geringere Umweltkosten verursache als die konventionelle Landwirtschaft. Der Agrarökonom Herbert Strübel widerspricht jedoch, da die deutlich niedrigeren Erträge der Biolandwirtschaft nicht in die Rechnung miteinbezogen werden.
In einer Ende Januar 2023 zum Auftakt der Grünen Woche in Berlinhttps://www.spiegel.de/wirtschaft/studie-oeko-landbau-spart-milliarden-an-folgekosten-a-a36ceb98-c098-4fd0-b657-0c3f7c64d944 publizierten Studie der Professur für Ãkologischen Landbau und Pflanzenbausysteme der TUMhttps://www.verlag-koester.de/buch/umwelt-und-klimawirkungen-des-oekologischen-landbaus/ bescheinigen Forschende dem Biolandbau eine bessere Klima- und Umweltbilanz als der konventionellen Anbauweise. Konkret sollen die Umweltkosten beim Ãkolandbau pro Hektare um rund 800 Euro geringer ausfallen. Die Münchner Forschenden kommen zum Schluss, dass pro Jahr rund vier Milliarden Euro an Umweltkosten eingespart werden könnten, wenn die von Deutschland angestrebten 30 Prozent Bioanbauflächen erreicht würden.
Gravierende Lücken
Wie das deutsche Onlineportal «top agrar» berichtet, liegen diesen Berechnungen jedoch gravierende Lücken zugrunde. Diese hat der emeritierte Agrarökonom Herbert Strübel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in einem Kommentar aufgegriffen. Gemäss Strübel blenden die Studienautoren die Umweltkosten, die durch die Mindererträge des Biolandbaus einhergehen, komplett aus. Die Münchener Forschenden weisen selbst darauf hin, dass die Ernten im Ãkolandbau im Durchschnitt um 50 Prozent niedriger ausfallen als in der konventionellen Landwirtschaft. Die daraus resultierenden Mindererträge müssen in der Praxis durch Ersatzbeschaffungen kompensiert werden. Dies geschieht in aller Regel durch den Import von Nahrungsmitteln.
Importe verursachen Umweltkosten
Die importierten Lebensmittel verursachen ebenfalls Produktions- und Umweltkosten. Nur fallen die Umweltkosten anstatt im Inland im Ausland an: «Werden die Mindererträge des Ãkolandbaus, wie zurzeit vorherrschend, durch zusätzliche Importe ausgeglichen, verlagern sich diese Wirkungen ins Ausland (virtuell importierte Flächen) und verstärken sich, weil dort aufgrund niedriger Erträge die Landnutzungsänderungen noch grössere Flächen betreffen können und zusätzliche Emissionen durch Transporte und Transportverluste entstehen», schreibt Strübel auf «top agrar». Strübel berechnet, dass für die Ersatzbeschaffungen folgende Kosten anfallen:
Zusätzliche Produktionskosten für die gleiche Erntemenge in der Höhe von 4 Milliarden Euro
Umweltkosten aus der Ersatzproduktion in Höhe von 4 Milliarden Euro
Umweltkosten aus Landnutzungsänderungen in Höhe von 6 Milliarden Euro
Den von den Münchner Forschenden errechneten Einsparungen von vier Milliarden Euro stehen auf einmal Kosten in der Höhe von 14 Milliarden Euro gegenüber, die durch Importe anfallen. Das Fazit von Strübel: «30 Prozent Ãkolandbau sparen zwar 4 Milliarden Euro an Umweltkosten ein, verursachen aber andererseits mehr als 10 Milliarden Euro an Umweltkosten und dazu noch 4 Milliarden Euro an zusätzlichen Produktionskosten.» Das heisst im Klartext: Die These, dass der Ãkolandbau weniger Umweltkosten verursacht als der konventionelle Anbau von Lebensmitteln, lässt sich mit der Studie der TU München nicht erhärten, wenn richtigerweise Umweltkosten auch ins Verhältnis zu den Erträgen gesetzt werden.
Martin Bossard
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Bio Knospe. Mensch, Tier und Natur im Gleichgewicht. Mehr erfahren >>http://www.bio-suisse.ch/de/gleichgewicht.php
Bourgeon Bio. Lâéquilibre entre lâhomme, lâanimal et la nature. En savoir plus >>http://www.bio-suisse.ch/fr/equilibre.php
Gemma Bio. Uomini, animali e natura in equilibrio. Per saperne di più >>http://www.bio-suisse.ch/it/equilibrio.php
15. März 2023 um 18:55
Lieber Martin
Vielen Dank für die Information.
Die Pestizid-Industrie hat immer Gegenstudien. Sie stürzt sich entweder auf Einzelheiten oder engagiert willige ForscherInnen, die ihnen zu Dienste stehen und das Gegenteil beweisen. Das hat System. Bei bezahlten Studien behalten sie sich vor, die Publikation selber ihren Wünschen anzupassen. Solche Machenschaften haben schon viele aufgedeckt. Erschreckend ist wie viele „Wissenschaftler“ da mitmachen.
Swiss Food ist eben der Propagandakanal von Syngenta und Bayer. Sie haben viel zu verlieren in der nächsten Zeit. Das würde mir natürlich als Firmenbesitzer und Manager schon Sorge bereiten. Daher wollen sie auch das Saatgut im Griff halten, und dies möglichst so, dass die Bauern (auch die armen in Drittweltländern) das Saatgut nicht selber nachziehen können. Man kann ihre Aussagen nicht ernst nehmen, aber die Entwicklung ist bedenklich. Wir müssen die Augen offen halten und der chemischen Verschmutzung Einhalt gebieten – wenigstens es versuchen.
Nicht umsonst hat die Industrie mit dem Bauernverband einen Pakt geschlossen.
Wir bleiben dran!
Herzliche Grüsse
Heidi