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Theoretisch sind Grundwasser, Bäche und Flüsse gut geschützt

29. Januar 2016

Heidi hat den Geissenpeter eingeladen. Sie möchte ihm zeigen wie gut die Gewässer eigentlich geschützt sind, auch vor Verschmutzungen aus der Landwirtschaft. Wenn nur die Vorschriften eingehalten würden!

Heidi: „Im Gewässerschutzgesetz (GSchG) ist Grundsätzliches geregelt. Wenn das Grundwasser oder das Wasser in einem Bach nicht mehr naturnah ist, dann hat jemand mindestens einen Gesetzesartikel übertreten. Ein Indiz für eine durch Menschen verursachte Verschmutzung ist das Überschreiten eines Anforderungswerts an die Wasserqualität. Diese Werte – das weisst du schon – findest du im Anhang 2 der Gewässerschutzverordnung (GSchV). Ich zeige dir nur diejenigen Artikel, welche die Landwirtschaft besonders betreffen.

Die zuständige Behörde muss bei Überschreitung eines Anforderungswerts das Warnsignal beachten und handeln. Das steht deutsch und deutlich in der Gewässerschutzverordnung, nämlich im Art. 47 und im Anhang 4 Ziffer 212. Tut sie das nicht, setzt sie die Sicherheit des Trinkwassers aufs Spiel und gefährdet die Lebensgemeinschaft im entsprechenden Gewässer.“

Peter: „Wenn ich das so höre, scheint mir, dass unsere Behörden ziemlich risikofreudig sind. Könnte man sie nicht einklagen, so wie das in Dänemark beim unzureichenden Klimaschutz geschehen ist?“

Heidi: „Schon möglich. Man müsste es einmal probieren: Klage gegen eine säumige Behörde. Das tönt spannend. Suche mir doch einen Sponsor, dann mach‘ ich das! Aber fangen wir jetzt mit dem gratis Nachschlagen im GSchG an, denn für eine solche Klage braucht es einen tüchtigen Anwalt und Geld!“

Peter: „Halt! Ich habe noch eine Frage: Wie wissen die Behörden, ob ein Gewässer verschmutzt ist, wo doch längst nicht alle Bäche untersucht werden?“

Heidi: „Natürlich ist auch dies ein Problem. Die Ämter müssten diesbezüglich viel mehr tun. Doch wer zahlt das? Überall wird gespart, auch bei den Behörden, ausser beim Subventionieren der Landwirtschaft!

Die Sorgfaltspflicht gemäss Art. 3 GSchG gilt für jedermann. Wenn wegen Verschmutzungen Massnahmen nötig sind, muss gemäss Art. 3a der Verursacher die Kosten dafür tragen.“

Peter: „Wie findet man den Schuldigen, wenn das Grundwasser durch Pflanzenschutzmittel oder Nitrat verschmutzt ist?“

Heidi: „Ja eben, das wäre mit Aufwand verbunden und unangenehm, also bezahlt oder leidet die Allgemeinheit. Man müsste die landwirtschaftliche Praxis hinterfragen und ändern.

Es ist gemäss Art. 6 verboten, Stoffe, die Wasser verunreinigen können, in Gewässer einzubringen oder sie versickern zu lassen. Solche Stoffe dürfen aber auch nicht ausserhalb eines Gewässers ausgebracht oder abgelagert werden, wenn die Gefahr besteht, dass das Gewässer verschmutzt wird. Solche Stoffe können Mistwasser von Misthaufen auf dem Feld oder Siloballensaft sein. Im Anhang 2 GSchV Absatz 11 f steht zudem, dass die Wasserqualität so beschaffen sein muss, dass Stoffe, die durch menschliche Tätigkeit ins Gewässer gelangen, die Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit empfindlicher Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen nicht beeinträchtigen.

Das ist zwar einleuchtend, aber du weisst besser als ich, dass dieses Verbot von deinen KollegInnen häufig übertreten wird. Auch systematisch übertreten, nicht nur in Graubünden! Zwar können Unfälle passieren, aber was da so alles unter „Unfall“ läuft, das kenne ich zur Genüge.“

Peter: „Wieso steht hier nichts über das Pflanzenschutzmittel- und Düngerverbot an Bächen?“

Heidi: „Die Pufferstreifen sind in der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung geregelt. Für Pflanzenschutzmittel im Anhang 2.5, für Dünger im Anhang 2.6. Zusätzlich gilt Art. 41c GSchV Extensive Gestaltung und Bewirtschaftung des Gewässerraums. Doch Art. 41 wird laufend verwässert und torpediert, ist also umsetzungsmässig im Moment nicht besonders aktuell.

Art. 14 GSchG enthält verschiedene Vorschriften für die Nutztierhalter. Anzustreben ist etwa eine ausgeglichene Nährstoffbilanz. Peter, erlaube mir die Bemerkung, dass beim Bilanzieren leicht gemogelt werden kann, z.B. kauft ein Bauer Futter oder Dünger zu, aber gibt dies in der Bilanz nicht an!

Peter: „Ich weiss! Das stört selbst gewisse Kontrolleure. Ich kenne ein zuständiges Amt, dem Wille und Mut fehlen, den Kontrolleuren strengeres Durchgreifen im Allgemeinen zu ermöglichen. Zudem ist es ihnen oft verwehrt, die Direktzahlungen zu kürzen. Aber Direktzahlungen sind schliesslich Steuergelder! Darum können sie die Bauern, welche betrügen, nicht zur Rechenschaft ziehen. Das schadet dem Ruf der Kontrolleure, unserem Ruf, der Umwelt und dem Vertrauen in den ÖLN (Ökologischer Leistungsnachweis).“

Heidi: „Da übertreibst du wohl gewaltig. Was kann eurem Ruf schon schaden?! Einen Teil eurer Werbung zahlen wir mit Steuergeldern und COOP und Migros helfen wacker mit. Nicht nur deshalb meide ich die Grossverteiler! Und dann wird die Bilanz systematisch überzogen: 110% sind erlaubt. Zwar gibt’s jetzt sanftes Gegensteuer für Problemgebiete und -betriebe (Anhang 1, Absatz 2.1.6 und 2.17 Direktzahlungsverordnung), aber so schnell verschwinden Traditionen in der Landwirtschaft nicht.

Vorgeschrieben ist auch die erforderliche Hofdünger-Lagerkapazität, die mindestens drei Monate betragen muss. Weil dies zu wenig ist, schreiben verschiedene Kantone für Neubauten fünf Monate vor, was auch der Empfehlung in der Vollzugshilfe Baulicher Umweltschutz für das Talgebiet entspricht, sechs Monate für das Berggebiet, dies wiederum entspricht der allgemeinen EU-Vorschrift.

Eine ausreichende Kapazität ist wichtig zum Schutz der Gewässer. Auch heute noch wird Gülle und Mist auf Schnee, gefrorenen oder nassen Boden ausgebracht. Entsprechende Anzeigen landen gerne in Amtsschubladen, wo sie verstauben. Das passiert besonders häufig in Kantonen, in welchen die Verantwortung für den Gewässerschutz Landwirtschaft beim Landwirtschaftsamt angesiedelt ist, wie in Graubünden, was eigentlich ein No-Go ist.“

Peter: „Fritz feierte letzte Wochen den 50. Geburtstag. Ich war eingeladen. Er sagte: ‚Ich darf meinen Mistsickersaft und das Milchzimmerabwasser in den Bach leiten. Das ist Gewohnheitsrecht!‘ Hans doppelte nach: ‚Ich mache das mit den Laufhofabwasser genauso, denn meine Güllegrube ist zu klein.‘ Stimmt das? Gilt auch Gewohnheitsrecht?“

Heidi: „So ein Unsinn! Das Wasser muss sauber bleiben. Es versickert teilweise ins Grundwasser oder dient anderen Leuten im Tiefland als Trinkwasser.

Peter:Art. 27 GSchG über die Bodenbewirtschaftung lese ich gleich selber: ‚Böden sind entsprechend dem Stand der Technik so zu bewirtschaften, dass die Gewässer nicht beeinträchtigt werden, namentlich nicht durch Abschwemmung und Auswaschung von Düngern und Pflanzenbehandlungsmitteln.‘ Tönt gut, aber was genau ist der Stand der Technik?“

Heidi: „Ehrlich gesagt, das weiss ich auch nicht. Wenn ich so uralte rauchende Gefährte von Nebenerwerbsbauern umher fahren sehe, Pestizid-Wolken oder Gülleschwaden Richtung Wald und Bächlein driften, das Regenwasser in den Fahrspuren auf Feldern liegen bleibt …

Du hast aber Art. 15 übersprungen, Erstellung und Kontrolle von Anlagen und Einrichtungen. Wie ich aus zuverlässiger Quelle weiss, hat – nur etwa drei Kantone ausgenommen – kein Kanton die Prüfung der bestehenden Anlagen abgeschlossen. Die Umsetzung der Dichtigkeitsprüfung von Hofdüngeranlagen ist in den meisten Kantonen erst in der Planungs- oder Testphase. Und es soll auch Kantone geben, wo sie noch gar nicht an die Hand genommen wurde.

Das entspricht einer voll krassen Missachtung von Art. 77. Die Kantone hätten dafür sorgen müssen, dass innert 15 Jahren nach Inkrafttreten des GSchG sämtliche Lagereinrichtungen saniert sind. 25 Jahre (!) sind jetzt verstrichen, und zahlreiche Kantone haben noch nicht einmal richtig mit Kontrollieren angefangen. So eine Schlamperei! Und das Kontrollieren ist erst der Anfang. Wie lange geht es, bis die Anlagen saniert oder stillgelegt sind?“

Peter: „Das weiss ich nicht, jedenfalls lange. Erhalten wir Bundesgelder für die Sanierung?“

Heidi: „Bundesgelder? Natürlich gab es damals auch dafür Bundesgelder, doch die Eingabefrist ist längst abgelaufen. Kluge Bauern haben in die Hofdüngeranlagen investiert: mithilfe von Steuergeldern!

Peter: „Noch eine Frage: Wenn den Kantonen das Geld fehlt, sie die Gewässer-Sanierungsmassnahmen kaum zahlen können? Was dann?“

Heidi: „Für diesen Fall hat der Bund 1999 Art. 62a, Massnahmen der Landwirtschaft, geschaffen! Das sind die sogenannten Gewässerschutzprojekte in der Landwirtschaft. Sie dienen der Sanierung von durch die Bauern verschmutzten Gewässern. Der Hauptanteil der Kosten wird vom Bund getragen, den restlichen Betrag können sich verschiedene Parteien teilen (Kantone, Gemeinden, Wasserversorger, Sponsoren).

Die Erfahrungen zeigen, dass die Wasserqualität an den meisten Projektorten tatsächlich besser geworden ist, doch nachhaltig sind die Projekte nach meiner Auffassung von Nachhaltigkeit nicht, denn ohne den regelmässigen Zustrom von Steuergeldern funktioniert der Schutz nicht. Die Projekte sind eine Symptom-, keine Ursachenbekämpfung. Standortgerechte Nutzung wäre die Lösung des Problems ohne Subventionen.

Der Bund kann die Kantone, gestützt auf Art. 64, auch beim Ermitteln der Ursachen der ungenügenden Wasserqualität unterstützen. Weitere Hilfe kann er leisten für die Aufklärung der Bevölkerung, die Ausbildung von Fachleuten, das Inventarisieren von Wasserversorungsanlagen und Grundwasservorkommen usw. Für Erfolg versprechende neuartige Anlagen ist zudem eine Risikogarantie möglich (Art. 64a).“

Peter: „Damit könnte man doch sicher mehr tun! Hier, in Art. 70, sind die Sanktionen. Das interessiert mich. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich gegen die Art. 6, 22, 35, 37, 38, 39 Abs. 2 und 44 verstösst. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen.

Wer in anderer Weise vorsätzlich dem GSchG oder einer Einzelverfügung zuwiderhandelt, wird nach Art. 71 mit einer Busse bis zu 20’000 Franken bestraft.

Auch Gehilfenschaft ist strafbar.“

Heidi: „Das scheint mir wichtig zu sein. Besonders deshalb, weil Gemeinden gerne den Bauern beim Vertuschen von Gewässerverschmutzungen helfen.

Wenn du willst, kann ich dir das alles aufschreiben, dann kannst du nachschauen, wenn du etwas nicht mehr weisst.“

Peter: „Das wäre nicht schlecht, denn das kann ich mir nicht alles merken. Jetzt muss ich noch die Geissen holen, wird es doch langsam dunkel. Wir sehen uns am Sonntag wieder, wenn du die Grossmutter besuchst. Sie freut sich schon lange darauf.“

Heidi: „Tut mir leid, dass ich sie vernachlässigt habe, aber es war so viel los.“

Gewässerschutz-Ziele: Kluft zwischen Gesetz und Wirklichkeit!, Heidis Mist 6.1.16

Gewässerschutzprojekte: Sind sie nachhaltig? (5) Pflanzenschutzmittel, «le Boiron des Morges» (VD), Heidis Mist 2.10.15

Gewässerschutzprojekte: Sind sie nachhaltig? (4) TOTAL Bundesbeiträge bis Ende 2014, Heidis Mist 6.8.15

Gewässerschutzprojekte: Sind sie nachhaltig? (3) Phosphorprojekte Sempachersee & Co., Heidis Mist 30.7.15

Gewässerschutzprojekte: Sind sie nachhaltig? (2) Gäu Solothurn, Heidis Mist 24.7.15

Gewässerschutzprojekte: Sind sie nachhaltig? (1) Heidis Mist 20.6.15

24.1.16 HOME

Gewässerschutz-Ziele: Kluft zwischen Gesetz und Wirklichkeit!

6. Januar 2016
An kleinen Bächen sind die Pufferstreifen und das Einhalten der Sicherheitsabstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln darum so wichtig, weil hier die Artenvielfalt mangels Verdünnung besonders stark leidet. Copyright: Universität Koblenz-Landau (Medieninformation Insektizidbelastung in Gewässern ist weltweit höher als erwartet, 14.04.15 https://www.uni-koblenz-landau.de/de/aktuell/archiv-2015/studie-insektizidbelastung)

An kleinen Bächen sind die Pufferstreifen und das Einhalten der Sicherheitsabstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln darum so wichtig, weil hier die Artenvielfalt mangels Verdünnung besonders stark leidet. Copyright: Universität Koblenz-Landau (Medieninformation Insektizidbelastung in Gewässern ist weltweit höher als erwartet, 14.04.15 https://www.uni-koblenz-landau.de/de/aktuell/archiv-2015/studie-insektizidbelastung)

Der Geissenpeter besuchte Heidi und den Alpöhi, brachte einen Käse und gute Laune mit. Bei Alpenkräuter-Tee und Kuchen diskutierten sie viel und heftig, etwa über verschmutzte Gewässer, Pflanzenschutzmittel (PSM), Nitrat und Sinn von Gesetzen sowie den Gesetzesvollzug. Was Heidi eigentlich wolle, fragte Peter. Sie schaltete den Computer ein, klickte auf den Link zur Gewässerschutzverordnung (GSchV) und scrollte zum Anhang 1. Was auf dem Bildschirm stand, war für Peter völlig neu, denn Gesetze interessieren ihn nicht sonderlich.

Peter: Das Ziel ist also offenbar, die ganzen Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen in und an den Gewässern zu schützen. Man will die natürlichen Gewässerfunktionen erhalten. Und die Trink- und Brauchwasserversorgung soll gesichert sein. Ja, das Vorsorgeprinzip! Die Grossmutter sagt auch immer: Vorbeugen ist besser als heilen!“ So fasste Peter das Gelesene zusammen.

Heidi: „Ja, deshalb soll etwa das Grundwasser prinzipiell keine langlebigen künstlichen Substanzen enthalten, auch keine Pestizide oder deren Abbauprodukte. Du siehst also, die Ökosysteme als Ganzes sind, mindestens theoretisch, gut geschützt, auch jene, die vom Grundwasser abhängen. Es gilt daher, nicht nur ein paar Rote Liste-Arten zu schonen, sondern die vernetzten Lebensgemeinschaften.

Für Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird oder vorgesehen ist, haben die Gesetzesschreiber folgenden Satz verfasst: ‚Die Wasserqualität muss so beschaffen sein, dass das Wasser nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung einhält.‘

Überhaupt: Die Vorsorge ist in verschiedenen Gesetzen gut verankert, doch gelebt wird zu häufig nicht danach. Schade!“

Peter: „Im Anhang 2 GSchV sind Anforderungswerte für verschiedene Stoffe aufgeführt. Was bedeutet Anforderungswert, wo doch alle von Grenzwerten reden?“

Heidi: „Ein Anforderungswert ist quasi ein Warnsignal; er liegt tiefer als ein Grenzwert, wird auch anders begründet; ein Anforderungswert bietet Raum zum Handeln. Das Überschreiten des Werts ist Auslöser für Abwehr- und Sanierungsmassnahmen bzw. müsste es sein. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass beim Überschreiten des Anforderungswerts das Grundwasser oder das Wasser im Bach verunreinigt ist. Grundwasser, das zur Trinkwassergewinnung genutzt wird, muss saniert werden.“

Peter: „Wie macht man das? Und wie lange dauert es?“

Heidi: „Ich kann darauf keine konkrete Antwort geben, denn das hängt von der Art und dem Ausmass der Verunreinigung ab. Auch die Wirksamkeit der möglichen Massnahmen spielt eine Rolle. Und natürlich die Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt durch den kritischen Stoff oder die Stoffe im Grundwasser. Oft ist es ja eine Mischung. Es kann Jahrzehnte dauern, bis das einmal verschmutzte Grundwasser wieder sauber ist, wenn überhaupt.“

m Eschelisbach TG untersucht das Oekotoxzentrum Eawag/EPFL u.a. den Bachflohkrebs. Wo es ihm gut geht, d.h. verschiedene Entwicklungsstadien vorhanden sind, da gedeihen auch die Fische. Im Bild oben zwei Jugendstadien. Copyright: Ludwig Tent, Lebendige Bäche und Flüsse, https://osmerus.wordpress.com/ Danke für Hinweis und Veröffentlichungsrecht!

Im Eschelisbach TG untersucht das Oekotoxzentrum Eawag/EPFL u.a. den Bachflohkrebs. Wo es ihm gut geht, d.h. verschiedene Entwicklungsstadien vorhanden sind, da gedeihen auch die Fische. Im Bild oben zwei Jugendstadien. Copyright: Ludwig Tent, Lebendige Bäche und Flüsse, https://osmerus.wordpress.com/ Danke für Hinweis und Veröffentlichungsrecht!

Peter: „Das leuchtet mir einigermassen ein. Aber wie kommt es, dass Anforderungswerte um das 20- bis 90fache überschritten werden, wie im Eschelisbach bei Güttingen (TG)? Das Bundesamt für Landwirtschaft sagt, dass dies ’sicher kein Risiko für Mensch und Umwelt‘ sei. Das irritiert mich. Hier im Anhang 1 der GSchV, Ökologische Ziele für oberirdische Gewässer, lese ich

‚Die Wasserqualität soll so beschaffen sein, dass:
b) im Wasser, in den Schwebstoffen und in den Sedimenten keine künstlichen, langlebigen Stoffe enthalten sind;
c) andere Stoffe, die Gewässer verunreinigen können und die durch menschliche Tätigkeit ins Wasser gelangen können, im Gewässer nur in nahe bei Null liegenden Konzentrationen vorhanden sind, wenn sie dort natürlicherweise nicht vorkommen.‘

Da liegen doch Welten zwischen Gesetz und Wirklichkeit! Wie kommt das, was meinst du? Zum Glück bin ich zur Zeit bloss Geisshirt, und – dir zuliebe – bekämpfe ich seit letztem Sommer die Unkräuter nicht mehr mit Chemie.“

Heidi: „Ich weiss, du gibst dir Mühe. Doch heute ist die Anwendung von PSM für viele so selbstverständlich, dass das ewige Spritzen kaum hinterfragt wird, d.h. durch alle Böden verteidigt wird*, und zwar auch dann, wenn es andere wirksame Methoden gäbe.

Klipp und klar ist in der Gewässerschutzverordnung verankert, dass gehandelt werden muss, wenn ein Anforderungswert überschritten wird, z.B. 0,1 µg/l je Wirkstoff PSM, und zwar völlig unabhängig davon, ob ’sicher kein Risiko für Mensch und Umwelt‘ besteht. Der Eschelisbach erfüllt die Anforderungen an ein Gewässer nicht im Entferntesten.

Bemerkenswert ist, dass dieser Missstand nicht durch Behörden, sondern durch das Schweizer Fernsehen öffentlich gemacht wurde. Wie viele „Eschelisbäche“ gibt es?“

Alpöhi: „Mich stört, dass die Gewässer in den Obstbau-, Weinbau- und Ackerbaugebieten nicht gezielt und systematisch untersucht werden; es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie sogar noch stärker verschmutzt wären, als wir annehmen. Risiko? Peter, du weisst doch ganz genau, welchen riesigen Einfluss eure InteressenvertreterInnen auf Behörden und Parlament haben! Aber wenigstens dann, wenn ein Anforderungswert überschritten ist, müsste doch die zuständige kantonale Behörde gemäss Art. 47 der GSchV handeln. Das kann dir Heidi besser erklären.“

Heidi:Die kantonale Behörde muss (müsste!!!):

  • Die Art, das Ausmass und die Ursache der Verunreinigung ermitteln und bewerten.
  • Sodann muss sie prüfen, welche Massnahmen technisch und betrieblich möglich sind, z.B. müsste sie den Zuströmbereich ausscheiden, innerhalb desselbigen den Pestizideinsatz einschränken und, falls nötig, die im Übermass vorhandenen Wirkstoffe verbieten, grössere Gewässerabstände vorschreiben und abklären, ob Drainagen oder andere direkte Verbindungen zwischen behandelten Flächen und dem betroffenen Gewässer bestehen.
  • Die Behörde muss zudem die Wirksamkeit der Massnahmen ermitteln und die geeigneten Massnahmen zum Beheben der Ursachen der Verunreinigungen anordnen.

Du siehst, es gibt viel Arbeit für die BeamtInnen, wenn sie das Problem ernst nehmen. Und es ist ein grosses Problem! Handlungsbedarf besteht auch beim Grundwasser, denn Rückstände von Pestiziden, d.h. von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen und -Abbauprodukten, treten landesweit an 20% der Messstellen in Konzentrationen von über 0,1 µg/l auf. In intensiv ackerbaulich genutzten Gebieten liegen die Konzentrationen einzelner oder mehrerer Substanzen sogar an 70% der Messstellen über diesem Wert.

Nicht viel besser sieht es beim Nitrat aus. Der Anforderungswert von 25 mg/l wird landesweit an bis zu 25% der beprobten Messstellen deutlich überschritten. In überwiegend ackerbaulich genutzten Gebieten liegen die Konzentrationen an bis zu 60% der Messstellen über diesem Wert.

Wird das Warnsignal von den zuständigen Behörden wahrgenommen? Wird gehandelt? Das frage ich mich immer wieder. Wahrscheinlich wartet man in den meisten Fällen ab. Worauf? Auf ein Wunder?“

Grundwasser bildet sich vor allem durch Versickern von Niederschlagswasser. Grafik: Claus J. Lienau, München, © Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt; einmaliges Nutzungsrecht für diese Veröffentlichung erteilt durch LfU.

Grundwasser bildet sich vor allem durch Versickern von Niederschlagswasser. Grafik: Claus J. Lienau, München, © Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt; einmaliges Nutzungsrecht für diese Veröffentlichung erteilt durch LfU.

Alpöhi: „Behörden sind oft überlastet. Während sie nichts unternehmen, gelangen aus verschmutzten Bächen und durch Versickern von Niederschlägen weiterhin Schadstoffe ins Grundwasser. Ein weiteres Problem ist die Speisung des Grundwassers. Der Wasserverbrauch pro Kopf sinkt zwar, aber die Einwohnerzahl steigt, und es braucht immer mehr Wasser zum Bewässern usw. Wenn es mit dem Siedlungs- und Strassenbau so weitergeht, dann fliesst immer noch mehr Wasser oberirdisch ab, statt unsere Grundwasserreserven zu speisen.

Wir haben eben früher in der Schule noch gelernt, wie Grundwasser entsteht; das wurde wohl aus den Lehrplänen gestrichen. Und wie es mit den Niederschlägen in Zukunft aussehen wird, das wissen wir nicht. Sicher aber müssen wir dem Grundwasser schon heute Sorge tragen!“

Heidi: „Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat eine gute Dokumentation zusammengestellt über Wasser, Wasserforscher.de, mit separaten Seiten für Schüler und Lehrer. Darin gibt’s ein Kapitel Wie entsteht Grundwasser. Anschaulich beschrieben und bebildert. Das musst du dir einmal anschauen, Peter!“

Peter: „In der landwirtschaftlichen Schule lernten wir den Wasserkreislauf, aber das habe ich längst vergessen, und, ehrlich gesagt, das interessierte mich damals nicht.

Langsam brummt mir der Kopf vor lauter Paragraphen! Ihr könnt mir ein anderes Mal weitererzählen. Ich habe sowieso der Grossmutter versprochen, ihr heute noch etwas vorzulesen. Und danach möchte ich Bulle und Bär anschauen, Der Bulle von Tölz.“

Nachdenklich schaut Heidi dem Peter nach. Was hatte ihr Herr Sesemann kürzlich geschrieben? „Wir haben schon lange einen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, aber genützt hat er bisher nicht viel.“

Derweil übt die Schweizer Armee für das WEF. Es dröhnt am Himmel. Je nach Wetter wird man die Spuren von Drohnen sehen.

Biomonitoring mit Gammarus pulex im landwirtschaftlich intensiv belasteten Eschelisbach, Thurgau, Oekotoxzentrum Eawag-EPFL, Zentrum für angewandte Ökotoxikologie in der Schweiz. Gammarus pulex ist der Bachflohkrebs.

Zustand des Grundwassers, Bundesamt für Umwelt BAFU

* Erklärung der Redewendung durch alle Böden und ihrer Herkunft für NichtschweizerInnen siehe Kommentar zu Durch alle Böden — Neue (alte) Schweizer Lieblingsredewendungen, Blogwiese, 18.2.8

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