Nachfolgend ein Bericht von Gaby Allheilig, Centre for Development and Environment (CDE), Universität Bern, über die Masterarbeit von Cristina Joss. Unter dem Link am Schluss dieses Beitrags finden Sie zahlreiche Fotos, die jedoch nicht für die Medien zur Verfügung stehen.
In Indonesien geht rund ein Viertel der Waldrodungen direkt auf Ölpalmen zurück. Wenig beleuchtet dabei: die Rolle der Ölmühlen. Viele produzieren heute deutlich unter ihrer Kapazität – und sind hungrig nach noch mehr Palmölfrüchten. Damit steigt das Risiko für weitere Entwaldungen.
In welchem Mass die Mühlen diese vorantreiben und welche Rolle sie für eine nachhaltigere Produktion spielen könnten, hat eine Masterarbeit am Centre for Development and Environment (CDE) und dem Geographischen Institut der Universität Bern unter die Lupe genommen.
Zentralkalimantan
Die Provinz im indonesischen Teil Borneos ist bekannt für die letzten Borneo-Orang-Utans – und dafür, ein Hotspot der Palmölindustrie zu sein. Laut Global Forest Watch hat sie zwischen 2000 und 2019 rund einen Viertel ihrer Wälder verloren. Nicht nur, aber vor allem wegen der Palmölindustrie.
Einer der wichtigen Akteure dabei sind die Verarbeiter der Früchte. Denn um eine gute Ölqualität zu erzielen, müssen die frisch geernteten Früchte rasch an die Mühlen geliefert werden – idealerweise innerhalb von 24 Stunden. Dort werden sie gepresst und als rohes Palmöl oder als Palmkernöl an die Raffinerien zur Weiterverarbeitung transportiert.
Die Folge des nötigen Tempos: In den Anbaugebieten sind Palmölmühlen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die derzeit vollständigste Übersicht bietet die Universal Mill List des Gobal Forest Watch und World Resources Institute.
Verbindung Ölmühlen und Entwaldungspotenzial untersucht
In den letzten Jahren hat das Wissen zwar zugenommen, wie sich Palmöl nachhaltiger produzieren lässt – und welche technischen Verbesserungen seitens der Mühlen dazu beitragen können. Doch welche Rolle die Mühlen in der Lieferkette und bei der Entwaldung spielen, ist noch kaum untersucht. Eine Lücke, die umso mehr ins Gewicht fällt, als die Mühlen beträchtliche Auswirkungen auf ihr Umfeld haben – inklusive dem Risiko weiterer Entwaldungen.
An diesem Punkt hat eine Masterarbeit am CDE und dem Geographischen Institut der Universität Bern in Partnerschaft mit der Earthworm Foundation, einer Nonprofit-Organisation, die sich für nachhaltige Wertschöpfungsketten engagiert, angesetzt. Ziel der Arbeit: die vorhandenen Palmölmühlen in Zentralkalimantan zu analysieren und davon ausgehend das Risiko weiterer Entwaldungen abzuschätzen.
Im untersuchten Gebiet sind derzeit 110 Palmölmühlen in Betrieb, die meisten davon im westlichen Teil der Provinz. Sie verarbeiten jährlich fast 30 Mio Tonnen an frischen Früchten, angebaut auf einer Gesamtfläche von rund 1,5 Mio Hektar Land.
Doch längst nicht alle Mühlen schöpfen ihr Verarbeitungspotenzial aus. Um jene ausfindig zu machen, die unter ihren Möglichkeiten betrieben werden – die hungrigen Mühlen – wurde für jede ein individuelles Einzugsgebiet errechnet und mit ihrer Kapazität verglichen. Das Resultat: rund 20 Prozent der 110 Mühlen arbeiten unter der Leistung, auf die sie ausgerichtet sind.
Will man diese voll ausschöpfen, fehlt in Zentralkalimantan momentan ein Drittel der dafür nötigen Anbauflächen.
Die Untersuchungen zeigten zudem, dass die meisten hungrigen Mühlen im Norden und Nordosten der Provinz anzutreffen sind – einem Randgebiet, in dem die Ölpalmplantagen (noch) nicht dicht an dicht stehen.
RSPO-Zertifizierung ohne grossen Einfluss auf Überkapazitäten
Die Zertifizierung eines Teils der Mühlen durch den Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) – die auf eine nachhaltigere Entwicklung des Sektors zielt – scheint in Zentralkalimantan auf die Überkapazitäten keinen grossen Einfluss zu haben.
Die Gründe dafür: Einerseits haben nur 34 der 110 Mühlen das RSPO-Label. Andererseits ist unter den zertifizierten Mühlen der Anteil an hungrigen zwar deutlich kleiner als unter den nichtzertifizierten – aber dafür liegt ihre durchschnittliche Überkapazität um zwei Drittel höher als bei den Nichtzertifizierten. Sie sind also weniger zahlreich, dafür umso «hungriger».
«Mühlen sind Risiko für Regenwälder»
«Die verschiedenen Analysen in der Masterarbeit haben ergeben, dass die Nachfrage nach mehr Plantagenfläche in Zentralkalimantan seitens der bestehenden Mühlen sehr hoch ist», fasst CDE-Wissenschaftlerin Cornelia Hett, welche die Arbeit betreute, zusammen.
«Damit ist klar, dass sie wegen ihres ‘Hungers’ praktisch keine nachhaltigen Anbaumethoden zulassen, die den Flächenertrag senken würden – aber auch dass sie für die verbliebenen Regenwälder ein ernst zu nehmendes Risiko darstellen.»
Abgesehen von staatlichen Regulierungen und ihrer tatsächlichen Durchsetzung auf Provinzebene hängt es also vor allem auch von den Mühlenbesitzern, sprich Konzernen, ab, ob sich die Industrie nachhaltiger aufgleisen lässt: Sie gehören zu den mächtigen Akteuren in der Wertschöpfungskette, zumal sie die angewandten Standards und Praktiken gestalten können, vor- und nachgelagerte Prozesse steuern, sowie beeinflussen, wo und wie neue Infrastruktur für die Palmölindustrie entsteht.
Cornelia Hett ist daher der Meinung: «Es wäre wichtig, vertieft der Frage nachzugehen, wer hinter der Finanzierung der Mühlen steht – gerade auch im Hinblick auf allfällige Verbindungen zu internationalen Grossinvestoren. Denn erst wenn dies geklärt ist, dürfte es gelingen, wirklich nachhaltige Wertschöpfungsketten aufzubauen.»
Rob Mc William, Direktor Forschung und Innovation der Earthworm Foundation, würdigt die Untersuchungen hinsichtlich ihres Nutzens für die Praxis: «Die Identifizierung hungriger Mühlen eröffnet neue Möglichkeiten in der Zusammenarbeit mit wichtigen Akteuren. Solche Informationen können zum Beispiel unsere Arbeit mit den Regierungsbehörden bei der Landnutzungsplanung unterstützen. Die Resultate sind auch hinsichtlich der Massnahmen des Privatsektors nützlich. Denn sie helfen herauszufinden, wo ein Engagement mit Produzenten höhere Priorität hat, um bei der Ausweitung von Palmölplantagen Abholzungen zu verhindern.»
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