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Chlorpyrifos: Schlampige Zulassung, spät verboten, immer noch in importierten Lebensmitteln

28. April 2023
Rückruf von Popcorn aus Spanien wegen zu hohen Chlorpyrifos-Werten

Rückruf von Popcorn aus Spanien wegen zu hohen Chlorpyrifos-Werten. Klick auf Bild für Vergrösserung.

Lidl Schweiz rief heute Popcorn aus Spanien zurück, da das Produkt das Pestizid Chlorpyrifos über dem gesetzlichen Höchstwert enthält. Das Deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hatte bereits am 30.3.23 eine Warnung für Popcornmais aus Spanien veröffentlicht.

Chlorpyrifos wurde in der EU per 16.2.20 verboten, mit Aufbrauchfrist 16.4.20. 2018 hatten Wissenschaftler bei einer für die Zulassung vorgelegten Herstellerstudie von 1998 Unstimmigkeiten festgestellt. Sie fanden deutliche Hinweise auf Beeinträchtigungen im Gehirn schon bei geringen Dosen. Diese Effekte wurden im Fazit der Studie jedoch nicht erwähnt. Chlorpyrifos ist auch für Tiere toxisch, besonders für Amphibien, jedoch auch für Bienen und Fische. Äusserst toxisch ist der Metabolit Chlorpyrifos-oxon.

Im Mai 2019 entschied das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft, allen Pflanzenschutzmitteln mit den Wirkstoffen Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl die Bewilligung zu entziehen. Dagegen gingen acht Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht ein, u.a. von Dow AgroSciences, Syngenta und Sintagro. In der Folge wurden die Bewilligungen für Chlorpyrifos-haltige Pestizide entzogen, Aufbrauchfrist 8.5.21.

Weiterhin zugelassen ist Chlorpyrifos u.a. in den U.S.A.

Zulassungsverfahren mangelhaft

Wissenschaftler kritisieren schon lange das Zulassungsverfahren für Pestizide. Die taz schrieb im Juni 2020: Es sind schwere Vorwürfe, die WissenschaftlerInnen gegen den Chemiekonzern Dow Chemical/Corteva und Pestizid-Zulassungsbehörden erheben: „Der Hersteller des Insektizids Chlorpyrifos hat die Ergebnisse eines Tierversuchs 1998 irreführend dargestellt, und die Behörden korrigierten das erst 2019“, sagte der Chemiker Axel Mie von der schwedischen Medizinuniversität Karolinska-Institut der taz.

„Dieser Fall illustriert, dass das Zulassungsverfahren nicht zuverlässig funktioniert – nicht nur in der EU, sondern weltweit“, sagt Mie. „Obwohl die entscheidenden Daten seit 20 Jahren vorliegen, blieb Chlorpyrifos praktisch überall zugelassen.“ Er schlägt vor, dass nicht mehr die Industrie die Studien für die Zulassung finanziert. Stattdessen müssten die Unternehmen eine Behörde bezahlen, damit sie die Studien in Auftrag gibt.

Aktuelle Chlorpyrifos-Warnungen

Das Deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit betreibt ein Schnellwarnsystem für Lebensmittel. Die Liste der Warnungen vom 30.3.23 bis 28.4.23 ist lang. Sie enthält nicht zugelassene Substanzen aller Art, Schwermetalle wie Quecksilber und Cadmium, Salmonellen, Listerien, Aflatoxine, Schimmel, Norovirus, Insekten, Überschreitung von Höchstwerten, Fremdkörper, nicht oder falsch gekennzeichnete Allergene, unzureichende Temperaturkontrolle, Migration von Stoffen aus Behältern (Arsen, Nickel, Kobalt…), Versuch illegaler Einfuhr usw.

Aufgeführt sind innerhalb eines Monats 24 Warnungen für Chlorpyrifos. Oft sind gleichzeitig auch weitere problematische Stoffe aufgeführt: 3x Zitronen aus der Türkei, 3x Orangen aus Ägypten, Koriander aus Thailand, Nahrungsergänzungsmittel mit Rohstoff aus Marokko, Kreuzkümmel aus der Türkei, Ingwerpulver aus Indien, 2x Weizen aus der Ukraine, Bio-Zimt aus Madagaskar, weisser Sesam unbekannter Herkunft, Grapefruits aus der Türkei, Tomaten aus der Türkei, Rosinen aus Deutschland, Rambutan aus Vietnam, Nashi-Birnen aus China, Okra aus Ägypten, Mandarinen aus Spanien, Kolanüsse aus Frankreich, Granatäpfel aus der Türkei und Popcornmais aus Spanien.

Recall Swiss: Aldi  «Snack Day Mikrowellen Popcorn Salz 3x100g Packung» mit den Mindesthaltbarkeitsdaten
05.12.2024, 07.12.2024, 21.12.2024 und 23.12.202

Giftig für Embryos – aber erlaubt. taz Juni 2020

Chlorpyrifos, Wikipedia

Schnellwarnungen RASFF: Lebensmittelsicherheit / Meldungen April 2023 / Stand: 28.04.2023. Deutsches Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Meldungen Schnellwarnsystem RASFF. Deutsches Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

 

Pestizidreduktion in Apfelplantagen und Einfluss des Klimawandels

5. März 2023

Quelle: Johann G. Zaller et al., Science of the Total Environment.

Johann G. Zaller et al., Science of the Total Environment.

Quelle: Potential to reduce pesticides in intensive apple production through management practices could be challenged by climatic extremes. Johann G. Zaller et al., Science of the Environmental

Johann G. Zaller und weitere Wissenschaftler der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, des Umweltforschungsinstituts von Global2000/Friends of the Earth Österreich sowie der Universidad de Extremadura, Badajoz, Spanien, haben den Pestizideinsatz und die Anbaumethoden auf 2’549 kommerziellen Apfelplantagen analysiert. Eine wichtige Schlussfolgerung ist: Das Potenzial zur Verringerung von Pestiziden im intensiven Apfelanbau durch Bewirtschaftungspraktiken könnte durch klimatische Extreme in Frage gestellt werden.

Zusammenhänge erkennen

Äpfel sind das am dritthäufigsten produzierte Obst der Welt, aber ihre Produktion ist oft pestizidintensiv. Das Ziel der Wissenschaftler war es, anhand der Aufzeichnungen von Landwirten in Österreich zwischen 2010 und 2016 Möglichkeiten zur Pestizidreduktion zu identifizieren. Sie untersuchten wie der Pestizideinsatz mit der Betriebsführung, den Apfelsorten und den meteorologischen Parametern zusammenhing und wie er sich auf die Erträge und die Toxizität für Honigbienen auswirkte.

Eingesetzte Pestizide

Auf den Apfelfeldern wurden pro Saison 29,5 Pestizidanwendungen mit einer Aufwandmenge von 56,7 kg pro Hektar durchgeführt, die insgesamt 228 Pestizidprodukte mit 80 Wirkstoffen umfassten. Im Laufe der Jahre entfielen 71% der ausgebrachten Pestizidmengen auf Fungizide, 15% auf Insektizide und 8% auf Herbizide. Die am häufigsten verwendeten Fungizide waren Schwefel (52%), gefolgt von Captan (16%) und Dithianon (11%). Von den Insektiziden wurden Paraffinöl (75%) und Chlorpyrifos/Chlorpyrifos-Methyl (6% zusammen) am häufigsten eingesetzt, bei den Herbiziden Glyphosat (54%), CPA (20%) und Pendimethalin (12%).

Was beeinflusste den Pestizideinsatz?

Der Pestizideinsatz stieg mit zunehmender Häufigkeit der Bodenbearbeitung und Düngung, zunehmender Feldgrösse, steigenden Temperaturen im Frühjahr und trockeneren Sommerbedingungen. Der Pestizideinsatz nahm mit zunehmender Anzahl der Sommertage mit Höchsttemperaturen über 30°C und der Anzahl der warmen, feuchten Tage ab. Die Apfelerträge standen in einem signifikant positiven Zusammenhang mit der Anzahl der Hitzetage, der feuchtwarmen Nächte und der Häufigkeit der Pestizidbehandlungen, wurden aber nicht von der Häufigkeit der Düngung und der Bodenbearbeitung beeinflusst.

Die Toxizität für Honigbienen stand nicht im Zusammenhang mit dem Einsatz von Insektiziden. Pestizideinsatz und Ertrag standen in signifikantem Zusammenhang mit den Apfelsorten.

Die Analyse der Wissenschaftler zeigt, dass der Pestizideinsatz in den untersuchten Apfelbetrieben durch weniger Düngung und Bodenbearbeitung reduziert werden kann, auch weil die Erträge um mehr als 50% über dem europäischen Durchschnitt lagen. Wetterextreme im Zusammenhang mit dem Klimawandel, wie z. B. trockenere Sommer, könnten jedoch Pläne zur Verringerung des Pestizideinsatzes in Frage stellen.

Was ist für die Pestizidreduktion wichtig?

Insgesamt ergab diese Analyse eines der umfassendsten Datensätze kommerzieller Apfelbetriebe mehrere wichtige Erkenntnisse, die für die Reduzierung des Pestizideinsatzes von Bedeutung sind.

  • Erstens hatten die Häufigkeit der Bodenbearbeitung und Düngung sowie die angebauten Apfelsorten einen erheblichen Einfluss auf die Intensität des Pestizideinsatzes.
  • Zweitens unterschieden sich die Apfelbetriebe erheblich in ihrer Pestizidintensität, selbst wenn sie in derselben Region lagen, was darauf hindeutet, dass Pläne zur Verringerung des Pestizideinsatzes auch Verhaltensaspekte berücksichtigen müssen.
  • Drittens wurden meteorologische Parameter, die mit dem Klimawandel zusammenhängen, mit der Pestizidintensität in Verbindung gebracht, was darauf hindeutet, dass regionalisierte Klimawandelmodelle in Verbindung mit einfachen Mengen- und Risikominderungszielen einbezogen werden sollten.

Pestizid-Aufzeichnungen sollten veröffentlicht werden

Analysen wie die hier gezeigten können nur mit qualitativ hochwertigen Daten zum Pestizideinsatz durchgeführt werden, die derzeit in Europa, anders als beispielsweise in Kalifornien, nicht veröffentlicht werden. Da alle Apfelbauern verpflichtet sind, Aufzeichnungen über die auf dem Feld ausgebrachten Pestizide zu führen, wäre es wichtig und relativ einfach, diese Daten zu sammeln, um den Ursprung der Umweltverschmutzung wissenschaftlich zu untersuchen und die Reduktionsziele zu validieren. Solche Analysen und Erfahrungen könnten dann auf andere pestizidintensive Apfelanbaugebiete in der Welt übertragen werden, wo die Datenlage noch schlechter ist.

Risiko für Umwelt und Menschen senken

Die Etablierung eines systematischen und standardisierten Pestizidmonitorings würde es ermöglichen, Zusammenhänge mit der Wirksamkeit von Minderungsmassnahmen zu erkennen und würde das europäische Green-Deal-Ziel erleichtern, den Pestizideinsatz und die Risiken bis 2030 um 50% und den Düngereinsatz um 20% zu reduzieren. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sowohl die Reduzierung des Düngemittel- als auch des Pestizideinsatzes unter Beibehaltung der durchschnittlichen Apfelerträge machbar erscheint.

Inwieweit und wo Aspekte des Klimawandels eingreifen, muss weiter untersucht werden. Darüber hinaus würde eine Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht nur das Risiko für die Umwelt, sondern auch für die Menschen in Regionen mit intensivem Apfelanbau auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem verringern.

Potential to reduce pesticides in intensive apple production through management practices could be challenged by climatic extremes. Johann G. Zaller et al., Science of the Environmental

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Ein erster Schritt ist getan: Bund will schädliches Pestizid verbieten

12. Juni 2019

Medieninformation von Greenpeace und WWF vom 12.6.19:

Nach langem hin und her hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) endlich entschieden, alle zwölf Bewilligungen für Pestizide mit den Wirkstoffen Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl zu widerrufen. Die Behörde hat Greenpeace Schweiz und WWF Schweiz entsprechend informiert. Die beiden Umweltorganisationen hatten sich jahrelang für ein Verbot von Chlorpyrifos eingesetzt. Das in der Landwirtschaft eingesetzte Gift kann bei Embryonen und Kleinkindern das Gehirn schädigen. Und es ist für Insekten, Vögel und Wassertiere hochtoxisch. Der Entscheid ist zu begrüssen. Doch er reicht bei weitem nicht aus: Nun müssen weitere besonders problematische Pestizide aus dem Verkehr gezogen werden.

Dieser Schritt war längst überfällig: Das BLW hat endlich entschieden, alle von ihm erteilten zwölf Bewilligungen für Insektizide mit den Wirkstoffen Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl zu widerrufen. Demnach müssen neun dieser Pestizide unverzüglich vom Markt genommen werden, drei weitere dürfen noch während zwölf Monaten verkauft werden. Landwirtinnen und Landwirte dürfen vorhandene Lagerbestände während zwölf Monaten aufbrauchen. Vom Rückzug betroffen sind total 26 Produkte. Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. Die betroffenen Firmen haben 30 Tage Zeit für eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Alltägliches Gift in der Landwirtschaft

Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl wurden in den 1960er-Jahren auf den Markt gebracht. Sie zählen weltweit bis heute zu den am häufigsten eingesetzten Insektiziden. Damit wurden während Jahrzehnten unter anderem Kartoffeln, Gemüse, Beeren und Weintrauben gespritzt. In der Schweiz wurden die Wirkstoffe in den letzten fünf Jahren in Mengen von 10‘000 bis 15‘000 Kilogramm pro Jahr in die Umwelt gebracht.

Die wissenschaftlichen Grundlagen sind unbestreitbar: Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl haben eine ähnliche Struktur wie gewisse chemische Kampfstoffe (Nervengase). Sie sind äusserst giftig für Vögel, Säugetiere, Fische, Amphibien, Insekten und namentlich auch alle Arten von Bienen und Hummeln. Die Wirkstoffe töten zudem das Leben im Boden und schädigen unsere eigene Ernährungsgrundlage. Dazu kommt, dass die Stoffe sehr gefährlich für den Menschen sind: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass der Wirkstoff während einer Schwangerschaft zu Hirnschäden beim ungeborenen Kind führen kann.

Entscheid ist richtig, reicht aber bei weitem nicht

Die Umweltorganisationen Greenpeace und WWF Schweiz haben sich für das Verbot von Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl eingesetzt. Sie haben gefordert, dass sämtliche Pestizide mit den beiden hochgefährlichen Wirkstoffen nicht mehr in die Umwelt ausgebracht und unverzüglich vom Markt genommen werden. Der Rückzug ist richtig und zu begrüssen. «Die Aufbrauchfrist von einem Jahr ist allerdings unnötig und angesichts der Toxizität der Substanzen nicht nachvollziehbar», sagt Eva Wyss, Projektleiterin Landwirtschaft von WWF Schweiz.

«Auch nach diesem Verbot sind Dutzende von vergleichbaren hochgiftigen Pestiziden frei zugänglich für Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau und Unterhaltsdienste» sagt Philippe Schenkel, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace Schweiz. Auch diese verursachen das Insekten- und Vogelsterben mit, gefährden die Bodenfruchtbarkeit und sind giftig für den Menschen. Greenpeace und WWF Schweiz fordern ein konsequentes Verbot solcher Pestizide.

Nachtrag: Wenn in mehreren Medienberichten zur Information von Greenpeace und WWF ein Pestizid-sprühender Helikopter abgebildet wurde, dann ist dies eine schlechte Bildwahl, denn Chlorpyrifos darf gemäss Pflanzenschutzmittelverzeichnis des BLW NICHT aus der Luft appliziert werden.

12.6.19 HOME

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