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Das Grosse Moos: Gemüsegarten, vierter internationaler Flughafen oder was?

31. Januar 2017
Ist Gemüsebau im Grossen Moos standortgerecht?

Ist Gemüsebau im Grossen Moos standortgerecht?

Ein ETH-Professor stand Anfang der 1980er Jahre vor einem Rest-Moorboden. Der Grossteil der fruchtbaren Erde war verschwunden, hatte sich im Laufe der Jahre in Luft bzw. schädliches Klimagas aufgelöst. Er sagte: „Im Grossen Moos dürfte man nicht pflügen, nur Wiesenbau betreiben.

Die Moorböden werden weiterhin intensiv genutzt, und das Grosse Moos ist der Gemüsegarten der Schweiz. Einmal mehr ist das Problem Mediengespräch. Der Moorboden war Boden des Jahres 2015. Heidi hatte darüber berichtet, mit weitergehenden Links wie Wenn sich der Boden in Luft auflöst, siehe Boden: Gut gibt’s den König von Thailand. Aktuelle Beiträge zum Thema:

Torfböden: Anbau auf Kosten von Steuerzahlern und Natur, SRF, 30.1.17.

Die Trockenlegung der Moore, SRF, 30.1.17.

Stand der Drainagen in der Schweiz, Bilanz der Umfrage 2008, Bundesamt für Landwirtschaft.

Das Grosse Moos: Wie es einmal war und was daraus wurde

Die Geschichte des Grossen Mooses erzählte Hanspeter Bundi in den 1980er Jahren in der Zeitschrift „du“. Sie ist stimmungsvoll, aufschlussreich und gleichzeitig ein Weckruf. Dieser verhallte aber ungehört. In diesem lehrreichen Artikel erfährt man auch, dass es Pläne gab, im Grossen Moos einen vierten internationalen Flughafen zu bauen.

Heidi wiederholt hier für die eiligen LeserInnen den letzten Absatz:
„Das Grosse Moos als Bild für die Schweiz? Als Bild für die Welt? Seltsame Zusammenhänge: Da zähmt der Mensch mit viel Sachverstand und Fleiss ein Stück Natur. Er lässt ein wildes, urwüchsige Stück Erde verarmen und tauscht es gegen fruchtbare Felder und materiellen Wohlstand. Jetzt, wo der Mensch am Ziel seiner Wünsche angelangt ist, schwindet ihm der Boden unter den Füssen buchstäblich weg.“ Das schrieb Bundi vor vier Jahrzehnten!

Bis zum 19.3.17 zeigt das Landesmuseum eine Ausstellung über „du“: du – seit 1941.

Das Grosse Moos

von Hanspeter Bundi

Tümpel, Auenwälder, Sumpfgebiete, kleine und grosse Gehölze, auch Eichen, silberglänzendes Riedgras und dazwischen die Mäander und die Ausläufer der Aare, die sich immer wieder neue Wege sucht. Sandbänke, Altwasser, ausgetrocknete Flussläufe. Bis weit ins letzte Jahrhundert hinein war die grosse Ebene zwischen dem Bieler-, dem Neuenburger- und dem Murtensee eine vielfältige, fast unberührte Landschaft über der nachts die Irrlichter flackerten. Das Leben in den Dörfern um das Grosse Moos herum war hart. Die Leute waren arm, assen wenig und schlecht, tranken viel. Sie seien dürr und würden schnell alt, schreibt ein Chronist aus jener Zeit. Dort, wo es möglich war, nutzten sie das Grosse Moos als Weideland, aber das Gras war oft so schlecht, dass die Tiere krank wurden, und das Heu konnte man nur als Streue verwenden. 1764 schreibt Pfarrer Niklaus Lombach über das Dorf Gampelen: „Alles Land ist hier gebaut, was nur immer gebaut werden kann, dem Moos allein hat man bisher keinen Rat finden können.“

An Plänen fehlte es nicht. Nach jeder Überschwemmung, nach jedem Seuchenzug wurden Ideen aufgeworfen und Projekte ausgearbeitet, aber es dauerte lange, bis man eine Lösung fand für das Grosse Moos.

Mit Bundeshilfe wurde in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts schliesslich die Aare gezähmt, indem man sie bei Aarberg in einen Kanal fasste und in den Bielersee leitete, damit sie dort ihre Geschiebe deponiere. Mit dem Nidau-Büren-Kanal wurde für den Bielersee ein künstlicher Abfluss geschaffen, der bei Büren wieder ins ursprüngliche Aarebecken mündet. Kanäle zwischen den drei Seen machten das Werk vollständig. Das Resultat entsprach den Erwartungen der Ingenieure. Die Zahl der Überschwemmungen ging zurück, die Spiegel der Seen und damit auch die Grundwasserspiegel des umliegenden Landes senkten sich. Die erste Juragewässerkorrektion war ein Erfolg.

Damit war die Grundlage für eine bessere Nutzung des Grossen Moos geschaffen. Es wurde – nach jahrelangem Gerangel um Zuständigkeit und Finanzen – ausgedehnte Drainagesysteme gebaut. Das Grosse Moos wurde entwässert, vermessen, gerodet und unter den Pflug genommen, und bald einmal prägten Weizen-, Rüben- und Kartoffelfelder das Bild. Doch der Boden hielt diesem ersten Ansturm einer intensiven Landwirtschaft nicht stand. Die ehemals wasserhaltige Mooserde sackte zusammen, der Boden senkte sich um ein bis zwei Meter. Die Kulturen wurden wieder häufiger überschwemmt, und die Bauern gerieten erneut in Schwierigkeiten.

Im Verlauf der zweiten Juragewässerkorrektion (1962-73) wurden neue, tieferliegende Drainagesysteme gebaut. Das Grosse Moos erhielt sein heutiges Gesicht.

Schnurgerade gezogene Kanäle, Strassen und Flurwege legen einen groben Raster über das Land. Senkrecht dazu verlaufen die Grundstücksgrenzen. Die Bauern legen ihre Kulturen in langen, genau abgegrenzten Streifen über das Land. Die Furchen der Pflüge sind wie mit dem Lineal gezogen, Weizen, Gras, Klee und Mais wachsen in dichten Reihen, und die Salatköpfe, Lauchstengel, die Karotten und die Kohlköpfe sind wie militärisch in Glied und Kolonne ausgerichtet. Damit man rationeller wirtschaften kann, wurden Hecken zerstört und Bäume gefällt. Da ist kein Platz für Mischkulturen. Aus dem Grossen Moos, einer ehemals unberührten Naturlandschaft mit unzähligen Pflanzenarten, ist ein geometrisch angelegter, langweiliger Gemüsegarten geworden, der im Winter kahl und im Frühling unter Plastik liegt. Denn es heisst der nationalen und internationalen Konkurrenz die Stirn zu bieten und das Gemüse möglichst früh im Jahr zu ernten. Im Herbst dann legt sich tröstlich der Nebel über das Grosse Moos. Die geraden Linien wirken dann weniger streng und die Gemüsereihen sind in Pastellfarben getaucht. Der Traktor des Bauern verschwindet in der Nebelwand, und zurück bleiben dunkle Furchen. In der frischgepflügten Erde suchen die Möwen nach Würmern.

Vor einigen Jahren noch hatten ehrgeizige Politiker und Planer Grosses im Sinn mit dem Grossen Moos. Nach Kloten, Genf-Cointrin und Basel-Mühlhausen sollte hier der vierte internationale Flughafen der Schweiz gebaut werden. Die hochfliegenden Pläne sind aber wohl endgültig begraben worden. Für einmal hatte die Vernunft gesiegt. Niemand will heute in der Schweiz, wo pro Sekunde ein Quadratmeter Kulturland verlorengeht, auf den Gemüsegarten zwischen den drei Seen verzichten, am allerwenigsten die Bauern von Ins, Fräschels, Gampelen und wie die Dörfer alle heissen. Es herrscht kein materielles Elend mehr. Den Bauern, den „Gemüslern“ mit ihren meist kleinen Betrieben geht es zwar nicht glänzend, aber sie haben es doch zu etwas gebracht. In den letzten 30 Jahren sind die Flächenerträge verdoppelt worden. Die gigantische Landwirtschaftsmaschinen gehören fest zum Erscheinungsbild des Grossen Moos, und wo die Bauern nicht nachmögen mit der Arbeit, helfen Saisonarbeiter aus Portugal.

Der bescheidene Wohlstand steht jedoch auf unsicherem Grund. Weil durch die intensive Bearbeitung immer wieder Luft in den organischen Boden gelangte, bauen Bakterien den Humus schnell ab. Der Boden senkt sich erneut. Flurstrassen, Schächte und die Fundamente von Leitungsmasten, die vor 40 Jahren bodeneben mit den Äckern auf den Lahmgrund gesetzt worden sind, stehen jetzt bis zu einem Meter höher als die umliegenden Felder, und da und dort kommt beim Pflügen der Lehm hoch. Nur eine radikale Umstellung auf Milch- und Weidewirtschaft könnte den Bodenschwund noch aufhalten, aber dies ist nicht möglich, denn die Betriebe sind zu klein dafür. So wird es in 100 oder 200 Jahren im Grossen Moos keine schwarze Erde mehr geben. Alte Männer werden ihren Enkelkindern erzählen, wie es war, damals, als die Erde so locker war, dass sie einem wie Sand durch die Finger rieselte.

Das Grosse Moos als Bild für die Schweiz? Als Bild für die Welt? Seltsame Zusammenhänge: Da zähmt der Mensch mit viel Sachverstand und Fleiss ein Stück Natur. Er lässt ein wildes, urwüchsige Stück Erde verarmen und tauscht es gegen fruchtbare Felder und materiellen Wohlstand. Jetzt, wo der Mensch am Ziel seiner Wünsche angelangt ist, schwindet ihm der Boden unter den Füssen buchstäblich weg.

31.1.17 HOME


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