Axel Mie und Christine Rudén von der Universität Stockholm nahmen die Sicherheitsbewertung von Pestiziden in der Europäischen Union (EU) unter die Lupe. Die Ergebnisse sind auch für die Schweiz relevant, denn in der Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (PSMV) steht, dass die Entscheide der EU berücksichtigt werden.
Die EU-Sicherheitsbewertung stützt sich in hohem Masse auf Toxizitätsstudien, die von der Industrie in Auftrag gegeben und finanziert werden. Das Herbizid Glyphosat und vier seiner Salze werden derzeit im Hinblick auf eine erneute Marktzulassung in der EU geprüft. Die von den antragstellenden Unternehmen vorgelegten Sicherheitsunterlagen enthalten keine Tierstudie zur Entwicklungsneurotoxizität, die den Testleitlinien entspricht.
Für ein fünftes Salz, das nicht im vorliegenden Antrag auf Wiederzulassung enthalten ist, wurde eine solche Entwicklungsneurotoxitätsstudie von einem der antragstellenden Unternehmen im Jahr 2001 gesponsert. Diese Studie zeigt eine Auswirkung dieser Form von Glyphosat auf eine neurologische Verhaltensfunktion, die Motorik, bei Rattennachwuchs in einer Dosis, von der bisher nicht bekannt war, dass sie schädliche Auswirkungen hat.
Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen wurden diese Auswirkungen den Behörden in den EU-Ländern, in denen diese Form von Glyphosat zu diesem Zeitpunkt zugelassen war, offenbar nicht mitgeteilt. Diese Entwicklungsneurotoxitätsstudie könnte auch für die laufende Bewertung von Glyphosat von Bedeutung sein, wurde aber weder im aktuellen noch in früheren Anträgen auf Wiederzulassung berücksichtigt.
In ihrem Kommentar betonen Mie und Rudén, dass es in der Verantwortung der Industrie liegt, die Sicherheit ihrer Produkte zu bewerten und zu gewährleisten, wobei alle verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt werden. Die Autoren argumentieren, dass die rechtliche Verpflichtung der Industrie, den EU-Behörden alle potenziell relevanten Daten vorzulegen, klar und weitreichend ist, dass diese Verpflichtung in diesem Fall jedoch nicht erfüllt wurde. Sie behaupten, dass die Behörden nicht zuverlässig ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit anstreben können, wenn ihnen potenziell relevante Daten vorenthalten werden, und schlagen vor, dass ein nachträglicher Abgleich zwischen den Listen der von den Prüflaboratorien durchgeführten Studien und den bei den Zulassungsbehörden eingereichten Studien durchgeführt werden sollte, um die Vollständigkeit der bei den Behörden eingereichten Daten zu überprüfen.
Was ist zu tun?
Die Rechtsvorschriften, so Mie und Rudén, seien klar und streng, da sie die Vorlage aller relevanten Daten in den Dossiers für Pestizide vorschreiben. Die Einhaltung dieser Anforderungen kann jedoch nicht effizient bestätigt werden. Sie sind der Meinung, dass sich dies ändern muss.
Die jüngsten EU-Transparenzvorschriften verpflichten Unternehmen und Prüflabore, die European Food Safety Authority (EFSA) über jede von ihnen in Auftrag gegebene oder durchgeführte Studie zur Unterstützung eines Antrags auf Zulassung eines Pestizids zu informieren. Sobald diese neue Regelung vollständig umgesetzt ist, können die den Behörden in künftigen Dossiers vorgelegten Studien anhand der Liste der gemeldeten Studien überprüft werden. Dadurch wird die Möglichkeit, den Behörden Tests vorzuenthalten, verringert. Dies ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz.
Darüber hinaus sollten die Verfahren dahingehend überarbeitet werden, dass alle regulatorischen Toxizitätsstudien von den Regulierungsbehörden in Auftrag gegeben werden, aber weiterhin von der Industrie finanziert werden. Ein solcher Ansatz würde die Bedenken verringern, dass wirtschaftliche Interessenkonflikte die Interpretation und Berichterstattung von Daten beeinflussen könnten, wie im vorliegenden Fall und auch beim Insektizid Chlorpyrifos. Gleichzeitig hätten die Behörden eine bessere Übersicht über die Verfügbarkeit von Daten.
Keiner dieser beiden Ansätze informiert jedoch über nicht veröffentlichte Studien, die bereits existieren. Die Autoren schlagen daher vor, die Grundsätze und Vorschriften der Guten Laborpraxis (GLP) heranzuziehen. Die GLP legt Regeln dafür fest, wie Studien geplant, durchgeführt, aufgezeichnet und kommuniziert werden, und ihre Einhaltung ist für von der Industrie in Auftrag gegebene Studien zur Sicherheit von Pestiziden, die zum Zweck einer Marktzulassung durchgeführt werden, verbindlich.
Die Mitgliedstaaten müssen regelmässige Inspektionen in Prüfeinrichtungen durchführen, die nach der GLP arbeiten. Zu den Informationen, die die Prüfeinrichtung der inspizierenden Behörde zur Verfügung stellen muss, gehört eine Liste der laufenden und abgeschlossenen Studien der Einrichtung. Mie und Rudén schlagen vor, dass solche Listen im Nachhinein zum Abgleich mit Listen von Studien verwendet werden können, die der EFSA als Teil von Pestiziddossiers vorgelegt wurden. Dieser Ansatz kann dazu beitragen zu verstehen, wie oft in Auftrag gegebene Studien, die offensichtlich für die Sicherheitsbewertung von Pestiziden relevant sind, in den bei der EFSA eingereichten Dossiers ausgelassen werden. Um die Transparenz und die Kontrolle durch Dritte weiter zu fördern, sollten diese Informationen auch öffentlich zugänglich gemacht werden.
Die GLP-Vorschriften gelten für die Sicherheitsprüfung aller chemischen Stoffe, nicht nur für Pestizide; daher könnte der vorgeschlagene Ansatz für die Gegenprüfung durchgeführter und eingereichter Studien auch in anderen Rechtsvorschriften für chemische Stoffe in der EU verwendet werden.
What you don’t know can still hurt you – underreporting in EU pesticide regulation. Environmeltal Health, Axel Mie, Christine Rudén, Stockholm University, 5.9.22
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