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Der Pestizidatlas 2022 ist da!

18. Oktober 2022
Wenige Konzerne aus dem Norden teilen sich den milliardenschweren Pestizidmarkt auf.

Wenige Konzerne aus dem Norden teilen sich den milliardenschweren Pestizidmarkt auf.

Vorwort Pestizidatlas 2022:

Im Bier und im Honig, auf Obst und Gemüse, im Gras auf Spielplatzen und sogar im Urin und in der Luft – überall lassen sich mittlerweile Spuren von Pestiziden aus der Landwirtschaft nachweisen. Dabei ist die Erkenntnis, dass sich Pestizide negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken, keineswegs neu. Auch ist seit Jahren bekannt, dass sie massiv Insekten und Pfanzen schädigen und Gewässer kontaminieren.

Bereits 1962 veröffentlichte Rachel Carson ihr weltweit anerkanntes Buch „Silent Spring“ – der stumme Frühling, in dem die Biologin die schädlichen Auswirkungen der Pestizidanwendung beschrieb. Es gilt als wegweisend für die Umweltbewegung und als eines der einfussreichsten Sachbücher unserer Zeit. Seitdem wurden viele Pestizide vom Markt genommen. Neue kamen mit dem Versprechen hinzu, sie seien ungefährlicher für Gesundheit und Umwelt. Ein Versprechen, das selten eingelöst wurde.

Trotz vieler Verschärfungen in den Zulassungsverfahren und freiwilliger und verbindlicher Vereinbarungen zum Umgang mit Pestiziden werden sechzig Jahre nach Carsons Buch weltweit so grosse Mengen Pestizide ausgebracht wie nie zuvor. Laut einer aktuellen Studie ist die Zahl der jährlich von Pestizidvergiftungen betroffenen Menschen auf 385 Millionen gestiegen, und der Pestizideinsatz ist als ein Hauptverursacher des Artenrückgangs anerkannt. Insbesondere in Ländern mit grosser Artenvielfalt hat der Anbau von gentechnisch verändertem Soja dazu beigetragen, dass der Pestizideinsatz dramatisch steigt.

In Deutschland hat sich die eingesetzte Pestizidmenge in den letzten Jahrzehnten nur minimal verringert. Bemühungen um eine Reduktion des Pestizideinsatzes und seiner schädlichen Auswirkungen auf Mensch, Natur und Umwelt fehlte bislang offenkundig der politische Wille.

Kaum ein Land weltweit hat eine ambitionierte Pestizid-Reduktionsstrategie oder gar Konzepte für eine Landwirtschaft, die wirklich unabhängig vom chemischen Pfanzenschutz ist. Und das nicht ohne Grund: Der Markt für Pestizide ist lukrativ. Nur wenige gut vernetzte und einfussreiche Agrarchemiekonzerne teilen ihn unter sich auf. Ganz vorne mit dabei: deutsche Unternehmen wie Bayer und BASF. Kein Wunder also, dass Deutschland einer der grössten Pestizidexporteure der Welt ist.

Die vielversprechenden Wachstumsmärkte der Pestizidunternehmen liegen längst nicht mehr in Europa, sondern vor allem in Lateinamerika und Asien. Aber auch in afrikanische Länder werden zunehmend Pestizide exportiert – nicht zuletzt solche, die in der EU aufgrund ihrer gesundheits- oder umweltschädigenden Wirkung nicht mehr zugelassen oder verboten sind.

Noch nie in der Geschichte wurden weltweit so viele Pestizide eingesetzt wie heutzutage“

Eine langjährige Forderung der internationalen Zivilgesellschaft lautet deshalb: endlich Gesetze zu schaffen, die konsequenterweise diese giftigen Exporte verbieten. Dass die neue Bundesregierung sich in ihrem Koalitionsvertrag verpfichtet hat, entsprechend zu handeln, lässt hoffen.

Um endlich die international verpflichtenden Biodiversitätsziele zu erreichen, schreitet die EU nun voran: Sie fordert von den Mitgliedsländern bis 2030 eine Reduktion des Pestizideinsatzes und der damit zusammenhängenden Risiken um fünfzig Prozent. Aus Sicht der 1,2 Millionen europäischen Bürgerinnen und Bürger, die bis zum September 2021 die Bürgerinitiative „Save Bees and Farmers“ unterschrieben haben, geht diese Forderung jedoch nicht weit genug. Sie fordern einen kompletten Ausstieg aus der Nutzung chemischer Pestizide bis 2035.

In diesem Zusammenhang hat uns interessiert, ob eine ambitionierte Politik zur Reduktion von Pestiziden eine breitere Unterstützung auch unter jungen Menschen in Deutschland fndet. Daher haben wir im Rahmen einer repräsentativen Umfrage junge Menschen befragt – und konnten feststellen: Die meisten wünschen sich eine sehr deutliche Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland, um insbesondere die Umwelt und Gewässer vor Einträgen zu schützen. Wie auch bei vorangegangenen Umfragen zum Klimaschutz und zum Tierwohl ergibt sich aus der Umfrage ein klarer Handlungsauftrag für die neue Bundesregierung. Freiwillige Beschränkungen sind für die jungen Menschen keine Option. Es sollte ernsthafte und wirksame Kontrollen und gleichzeitig Unterstützung für die Bäuerinnen und Bauern geben, damit sie weniger Pestizide verwenden.

Für eine ökologische Trendwende braucht es Umdenken in der  Landwirtschaft – und politischen Willen.

Durch die Klimakrise werden Pflanzenkrankheiten, Schädlungsbefall und Extremwetterlagen in vielen Teilen der Welt zunehmen. Um den dadurch erhöhten Druck auf nützliche und unverzichtbare Insekten- und Pfanzenpopulationen zu verringern, müssen sich unsere Agrarsysteme darauf einstellen, diesen Herausforderungen auch mit weniger Pestiziden zu begegnen. Dafür müssen sie vielfältiger werden und Nützlinge als Verbündete schützen und einsetzen. Den Kampf mit der Natur und nicht gegen sie zu führen, ist eine enorme Aufgabe. Für ihr Gelingen müssen wir die Weichen jetzt stellen. Deshalb wollen wir mit diesem Atlas Daten und Fakten für eine lebendige Debatte liefern.

Barbara Unmüßig, Heinrich-Böll-Stiftung

Olaf Bandt, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

Doris Günther, Pestizid Aktions-Netzwerk

Dorothee D’Aprile, Le Monde Diplomatique

Pestizidatlas 2022, Heinrich-Böll-Stiftung

Pestizidatlas 2022, Schweizer Ausgabe, Public Eye

Der Pestizidatlas 2022 ist erschienen!

21. Januar 2022
Pestizidatlas 2022, Seite 11.

Pestizideinsatz in Tonnen nach Kontinenten im Jahr 2019 und Veränderung seit 1999. Jährlich erleiden auf der ganzen Welt 385 Millionen Menschen eine Pestizidvergiftung. Für einige endet sie tödlich. Quelle: Pestizidatlas 2022, Seite 11.

Der PESTIZIDATLAS 2022 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, PAN Germany und Le Monde Diplomatique. Er enthält Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft.

Hier ein Zitat, siehe Seite 10:

„Die eingesetzte Pestizidmenge steigt seit Jahrzehnten an: Zwischen 1990 und 2017 um etwa 80 Prozent. Das Zusammenspiel von Pestiziden, Dünger und technischem Fortschritt trug dazu bei, dass sich die landwirtschaftliche Produktion grundlegend verändert hat. Da Bäuerinnen und Bauern Krankheiten und Schädlinge nun durch Pestizide statt durch Fruchtfolgen und Fruchtkombinationen in Schach hielten, konnten sich enge Fruchtfolgen immer gleicher Kulturpflanzen etablieren. Das Ergebnis: Ohne Pestizide ist die heutige industrielle Landwirtschaft grossenteils nicht mehr vorstellbar.

Durch kapitalintensive Inputs stiegen in vielen Industrieländern seit den 1950er-Jahren die Erträge und damit das Angebot an landwirtschaftlichen Produkten deutlich schneller als die Nachfrage – was zu immer billigeren landwirtschaftlichen Produkten und schlechterem Einkommen für die Landwirtinnen und Landwirte führt. Parallel zum Pestizideinsatz intensivierte sich die wissenschaftliche Forschung. Immer mehr Erkenntnisse haben Fachleute darüber gewinnen können, wie sich Pestizide auf die menschliche Gesundheit auswirken und die Umwelt belasten können.

Heute liegt die jährlich ausgebrachte Pestizidmenge bei circa 4 Millionen Tonnen weltweit. Fast die Hälfte davon sind Herbizide, die gegen Unkräuter verwendet werden; knapp 30 Prozent sind Insektizide, die gegen schädliche Insekten wirken und etwa 17 Prozent sind Fungizide gegen Pilzbefall. Marktanalysen bezifferten den globalen Pestizid-Marktwert im Jahr 2019 auf fast 84,5 Milliarden USDollar. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate lag seit 2015 bei mehr als 4 Prozent – für die kommenden Jahre könnte sie steigen. Bis 2023 wird eine Wachstumsrate von 11,5 Prozent und damit ein Anstieg auf fast 130,7 Milliarden US-Dollar Marktwert prognostiziert.

Dieser deutliche Anstieg hängt auch mit der Klimakrise zusammen: Ein US-Forschungsteam der Universität von Seattle hat kalkuliert, dass pro Grad Erderwärmung die Ernteerträge von Reis, Mais und Weizen um 10 bis 25 Prozent sinken könnten. Die Gründe dafür sind vielfältig. So verändert der Klimawandel zum Beispiel Schädlingspopulationen und das Verhältnis von Schädlingen und Nützlingen. Hinzu kommt, dass die Widerstandskraft der Pflanzen gegen Schädlinge infolge von klimabedingtem Stress sinkt.“

Ein Kommentar aus Dänemark

Zitat Paul Holmbeck, EcoConsult, Political strategy, Policy innovation, IFOAM World Board Member, Climate & organic market initiatives, Aarhus, Midtjylland, Dänemark:

„Der Pestizideinsatz ist in Dänemark im vergangenen Jahr zurückgegangen – ein Grund dafür sind die Greenfees für den Pestizideinsatz, die je nach Toxizität immer höher sind. Auch hier sind viele Verbesserungen erforderlich – Verbot von mehr Pestiziden, mehr pestizidfreie (organische!) Zonen um Trinkwasser und Naturgebiete und weniger Verzichtserklärungen für die Nutzung. Und nicht zuletzt mehr Ökologischer Landbau überall!“

Pestizidatlas 2022

Pestizidatlas 2022 zeigt Gefahren chemischer Pflanzenschutzmittel. Pestizidatlas vorgestellt. Tagesschau 12.1.21

Scarry new world record for use of pesticides… OPTA – the Association of Organic Processing and Trade Companies in Europe 17.1.22

21.1.22 HOME

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