Eine alte Weisheit: “Wo die Sonne nicht hinkommt, kommt der Tierarzt hin!”
Diese Weisheit bläute Professor Hans Heusser den angehenden Agronomen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) von 1957 bis 1988 ein. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rühmten Bauern und Wissenschaftler Sonne+Auslauf. Der erste Chef des Schweizer Bauernverbands (SBV), Professor Ernst Laur, war in den 1920/30er Jahren gar ein richtiger Kämpfer für Sonne, freie Bewegung in Auslauf und auf der Weide! Unvorstellbar, dass seine Nachfolger, ob Melchior Ehrler oder Hansjörg Walter, sich je so geoutet hätten; Tierwohl- und Tiergesundheitsverbesserungen mussten zumeist gegen den SBV und seine Exponenten durchgesetzt werden. Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz (heute pensioniert) war ein unermüdlicher Kämpfer für mehr Tierwohl.
Weisses Kalbfleisch wird lanciert
Zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg kamen einige Leute zu Geld und so sagte sich ein Metzger: „Ich könnte mehr Rendite aus dem Rindfleisch holen, wenn ich eine Spezialität anbieten würde.“ So setzte er sich, vermutlich noch etwas blutverschmiert vom letzten Töten einer Kuh, auf einen Hocker und überlegte. Zartes weisses Fleisch von einem Kälbchen könnte ich sicher teurer verkaufen und damit eine bessere Marge erzielen. Er bat einen Bauern um Hilfe. Dieser witterte ebenfalls mehr Gewinn. Der Bauer hatte eine Idee: „Ich füttere den Kälbchen nur noch Milch, kein Gras, dann ist vielleicht auch ihr Fleisch weiss statt rot und wir können das als Spezialität teuer verkaufen. Gesagt, getan!
Rasch gab es Nachahmer, auch in der Schweiz. Das Geschäft mit dem weissen Kalbfleisch funktionierte wunderbar. Man wusste, dass die Kälbchen eigentlich krank waren, an Blutarmut litten. Sie waren – und sind es teilweise heute noch – in dunklen Verschlägen untergebracht. Lange störte das niemanden. Immer lauter wurden aber Stimmen, die das schlecht fanden, denn die Kälbchen waren nicht nur krank, sie benötigten auch Antibiotika. Oft werden viele Kälber gemeinsam auf spezialisierten Betrieben gemästet. Weil die Tiere aus verschiedenen Bauernhöfen stammen, ist die Keimvielfalt gross und entsprechend auch die Krankheitsgefahr.
Immer noch werden viele Kälber auf Kälbermärkte gekarrt, wo sie sich ebenfalls mit Krankheitserregern ansteckten können. Hauptziel der Kälbermärkte ist nicht unbedingt das Verkaufen, denn oft sind die Tiere schon vorher verkauft, sondern das Generieren von Importkontingenten, einem ausgesprochen undurchsichtigen, aber offenbar lukrativen Geschäft.
Rosarotes Kalbfleisch wird erkämpft

Die Farbe muss stimmen! Copyright: Martin Scheeder, Hochschule für Agrar-, Forst- und
Lebensmittelwissenschaften der BFH/SUISAG
Vor etwa zehn Jahren wurde heftig um die Farbe des „optimalen“ Kalbfleisches gestritten, denn Hansuli Huber, damals noch beim Schweizer Tierschutz (STS), und Peter Zbinden, Beamter beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), und nicht nur sie, fanden die blutarmen, krankheitsanfälligen, Antibiotika-fressenden Kälber gar nicht toll. Sie erkämpften das heute rosarote Kalbfleisch gegen viele Widerstände der Fleischproduktions-, Verarbeitungs- und Verkaufsindustrie. Es wurde ein strenges Klassifiziersystem geschaffen. Noch heute laufen Bauern Gefahr, beim Metzger Abzüge erdulden zu müssen, wenn das Kalbfleisch in den Augen des Metzgers zu rot ist. Die Farbe ist also wichtig, nicht in erster Linie der Geschmack oder die Gesundheit der Kälber!
Von Bruder-Kälbchen und Mutterkühen
Seit den frühen Siebzigerjahren wird in der Schweiz Mutterkuhhaltung für die Fleischproduktion praktiziert. Der Verein Mutterkuh Schweiz zählt heute knapp 6’000 Mitglieder, die zusammen über 100’000 Mutterkühe halten. Ihr Anteil am Rindviehbestand beträgt 15 Prozent. Ein starker Förderer dieser Haltungsform war der frühere Direkter des BLW, Hans Burger, der selbst einen Mutterkuhbetrieb besass. Er propagierte Mutterkühe für das Berggebiet und intensive Milchproduktion im Talgebiet. Heute sind beide Produktionsformen in Berg und Tal zu finden. Mutterkühe weiden auf besten Fruchtfolgeflächen, die eigentlich besser für den Acker- und Gemüsebau genutzt würden.
Die Mutterkühe sind auf Fleischproduktion gezüchtet, die Milchkühe auf Milchproduktion. Das ist schlecht für die Milchkuhkälbchen, die nicht zur Aufzucht benötigt werden. Sie sind eigentlich überflüssig, setzen schlecht Fleisch an und sind daher nicht besonders zum Mästen geeignet. Tierschützer klagen, dass es Bauern gibt, die daher die Kälbchen vernachlässigen, so dass sie bald einmal im Schlachthof landen. Etwa in Australien ist dies eher die Norm, denn die Ausnahme. Während das Töten der männlichen Kücken der Eierproduktionsrassen bei den Hühnern längst ein Medienthema ist, sind die „Mutterkuhkälbchen“ Jööööh, während die überflüssigen Milchkuhkälbchen der knochigen Mütter zwar oft dennoch gemästet werden, die Masteffizienz aber nicht optimal (unökologisch) ist und die Kälbchen Antibiotika benötigen. In der Regel werden ihnen Antibiotika prophylaktisch verabreicht.
Auseinanderdriftende Züchtung
Die Schweizer Milchviehzüchtung ist auf Höchstleistungen ausgerichtet, orientiert sich an den Superleistungen internationaler Züchtungserfolge. Nicht so die Graslandforschung. Sie fördert Wiesenbestände, die es ermöglichen, viel Milch und Fleisch aus Gras, Klee und Kräutern zu produzieren. Die beiden Forschungsrichtungen passen also nicht zusammen. Zum Glück gibt es Bauern, welche dem Grünland und Berggebiet angepasste Kühe die bessere Lösung finden.
Kalbfleisch: rosarot ohne Antibiotika. Heidis Mist vom 9.4.12
Schweizer Kälbermärkte: Drama in drei Akten – Erster Akt: Tränker. Heidis Mist vom 10.4.17
Schweizer Kälbermärkte: Drama in drei Akten – Zweiter Akt: Bankkälber. Heidis Mist vom 16.5.17
Schweizer Kälbermärkte: Drama in drei Akten – Dritter Akt: Fehlende Vernunft im Parlament. Heidis Mist vom 25.7.17
Qualitätsaspekte von Kalbfleisch, Martin Scheeder, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften der BFH / SUISAG
Wenn schon Milch, dann CH-Milch! Heidis Mist vom 1.2.13
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