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Fehlgeleitete Tierproduktion: Das (wahre) Märchen vom Metzger und seinen Kälbern

17. August 2021
Kälber auf der Weide

Kälber auf der Weide

Eine alte Weisheit: “Wo die Sonne nicht hinkommt, kommt der Tierarzt hin!”

Diese Weisheit bläute Professor Hans Heusser den angehenden Agronomen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) von 1957 bis 1988 ein. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rühmten Bauern und Wissenschaftler Sonne+Auslauf. Der erste Chef des Schweizer Bauernverbands (SBV), Professor Ernst Laur, war in den 1920/30er Jahren gar ein richtiger Kämpfer für Sonne, freie Bewegung in Auslauf und auf der Weide! Unvorstellbar, dass seine Nachfolger, ob Melchior Ehrler oder Hansjörg Walter, sich je so geoutet hätten; Tierwohl- und Tiergesundheitsverbesserungen mussten zumeist gegen den SBV und seine Exponenten durchgesetzt werden. Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz (heute pensioniert) war ein unermüdlicher Kämpfer für mehr Tierwohl.

Weisses Kalbfleisch wird lanciert

Zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg kamen einige Leute zu Geld und so sagte sich ein Metzger: „Ich könnte mehr Rendite aus dem Rindfleisch holen, wenn ich eine Spezialität anbieten würde.“ So setzte er sich, vermutlich noch etwas blutverschmiert vom letzten Töten einer Kuh, auf einen Hocker und überlegte. Zartes weisses Fleisch von einem Kälbchen könnte ich sicher teurer verkaufen und damit eine bessere Marge erzielen. Er bat einen Bauern um Hilfe. Dieser witterte ebenfalls mehr Gewinn. Der Bauer hatte eine Idee: „Ich füttere den Kälbchen nur noch Milch, kein Gras, dann ist vielleicht auch ihr Fleisch weiss statt rot und wir können das als Spezialität teuer verkaufen. Gesagt, getan!

Rasch gab es Nachahmer, auch in der Schweiz. Das Geschäft mit dem weissen Kalbfleisch funktionierte wunderbar. Man wusste, dass die Kälbchen eigentlich krank waren, an Blutarmut litten. Sie waren – und sind es teilweise heute noch – in dunklen Verschlägen untergebracht. Lange störte das niemanden. Immer lauter wurden aber Stimmen, die das schlecht fanden, denn die Kälbchen waren nicht nur krank, sie benötigten auch Antibiotika. Oft werden viele Kälber gemeinsam auf spezialisierten Betrieben gemästet. Weil die Tiere aus verschiedenen Bauernhöfen stammen, ist die Keimvielfalt gross und entsprechend auch die Krankheitsgefahr.

Immer noch werden viele Kälber auf Kälbermärkte gekarrt, wo sie sich ebenfalls mit Krankheitserregern ansteckten können. Hauptziel der Kälbermärkte ist nicht unbedingt das Verkaufen, denn oft sind die Tiere schon vorher verkauft, sondern das Generieren von Importkontingenten, einem ausgesprochen undurchsichtigen, aber offenbar lukrativen Geschäft.

Rosarotes Kalbfleisch wird erkämpft

Die Farbe muss stimmen!

Die Farbe muss stimmen! Copyright: Martin Scheeder, Hochschule für Agrar-, Forst- und
Lebensmittelwissenschaften der BFH/SUISAG

Vor etwa zehn Jahren wurde heftig um die Farbe des „optimalen“ Kalbfleisches gestritten, denn Hansuli Huber, damals noch beim Schweizer Tierschutz (STS), und Peter Zbinden, Beamter beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), und nicht nur sie, fanden die blutarmen, krankheitsanfälligen, Antibiotika-fressenden Kälber gar nicht toll. Sie erkämpften das heute rosarote Kalbfleisch gegen viele Widerstände der Fleischproduktions-, Verarbeitungs- und Verkaufsindustrie. Es wurde ein strenges Klassifiziersystem geschaffen. Noch heute laufen Bauern Gefahr, beim Metzger Abzüge erdulden zu müssen, wenn das Kalbfleisch in den Augen des Metzgers zu rot ist. Die Farbe ist also wichtig, nicht in erster Linie der Geschmack oder die Gesundheit der Kälber!

Von Bruder-Kälbchen und Mutterkühen

Seit den frühen Siebzigerjahren wird in der Schweiz Mutterkuhhaltung für die Fleischproduktion praktiziert. Der Verein Mutterkuh Schweiz zählt heute knapp 6’000 Mitglieder, die zusammen über 100’000 Mutterkühe halten. Ihr Anteil am Rindviehbestand beträgt 15 Prozent. Ein starker Förderer dieser Haltungsform war der frühere Direkter des BLW, Hans Burger, der selbst einen Mutterkuhbetrieb besass. Er propagierte Mutterkühe für das Berggebiet und intensive Milchproduktion im Talgebiet. Heute sind beide Produktionsformen in Berg und Tal zu finden. Mutterkühe weiden auf besten Fruchtfolgeflächen, die eigentlich besser für den Acker- und Gemüsebau genutzt würden.

Die Mutterkühe sind auf Fleischproduktion gezüchtet, die Milchkühe auf Milchproduktion. Das ist schlecht für die Milchkuhkälbchen, die nicht zur Aufzucht benötigt werden. Sie sind eigentlich überflüssig, setzen schlecht Fleisch an und sind daher nicht besonders zum Mästen geeignet. Tierschützer klagen, dass es Bauern gibt, die daher die Kälbchen vernachlässigen, so dass sie bald einmal im Schlachthof landen. Etwa in Australien ist dies eher die Norm, denn die Ausnahme. Während das Töten der männlichen Kücken der Eierproduktionsrassen bei den Hühnern längst ein Medienthema ist, sind die „Mutterkuhkälbchen“ Jööööh, während die überflüssigen Milchkuhkälbchen der knochigen Mütter zwar oft dennoch gemästet werden, die Masteffizienz aber nicht optimal (unökologisch) ist und die Kälbchen Antibiotika benötigen. In der Regel werden ihnen Antibiotika prophylaktisch verabreicht.

Auseinanderdriftende Züchtung

Diese Hochleistungskühe bringen eine hohe Milchleistung.

Diese Hochleistungskühe bringen eine hohe Milchleistung.

Die Schweizer Milchviehzüchtung ist auf Höchstleistungen ausgerichtet, orientiert sich an den Superleistungen internationaler Züchtungserfolge. Nicht so die Graslandforschung. Sie fördert Wiesenbestände, die es ermöglichen, viel Milch und Fleisch aus Gras, Klee und Kräutern zu produzieren. Die beiden Forschungsrichtungen passen also nicht zusammen. Zum Glück gibt es Bauern, welche dem Grünland und Berggebiet angepasste Kühe die bessere Lösung finden.

Kalbfleisch: rosarot ohne Antibiotika. Heidis Mist vom 9.4.12

Schweizer Kälbermärkte: Drama in drei Akten – Erster Akt: Tränker. Heidis Mist vom 10.4.17

Schweizer Kälbermärkte: Drama in drei Akten – Zweiter Akt: Bankkälber. Heidis Mist vom 16.5.17

Schweizer Kälbermärkte: Drama in drei Akten – Dritter Akt: Fehlende Vernunft im Parlament. Heidis Mist vom 25.7.17

Swiss Quality Veal

Tarifblatt Micarna

Qualitätsaspekte von Kalbfleisch, Martin Scheeder, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften der BFH / SUISAG

Wenn schon Milch, dann CH-Milch! Heidis Mist vom 1.2.13

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24. Dezember 2012: Güllen

27. Dezember 2012

Das schöne Wetter lockte ins Freie. Heidi spazierte durch die Bündner Herrschaft. Zum Glück hatte sie die Kamera eingepackt, denn der Ausflug war kein reines Vergnügen: Misthaufen im Feld da und dort, Siloballen und Misthaufen auf Pufferstreifen, zwei Bauern am Güllen, also Material für mehrere Artikel. Um 16 Uhr läuteten in Malans die Glocken den Weihnachtsgottesdienst ein, Kinder und Erwachsene strömten von allen Seiten zur Kirche. Zuhause angelangt, fand Heidi folgende e-Mail: „Darf man am 24. güllen?“ Heidi meint, dass die Bauern allein schon aus Rücksicht auf die überwältigende Mehrheit der SteuerzahlerInnen, die jetzt frei haben, nicht güllen sollten. Auch Silvester ist ein beliebter Bündner Gülletag, wie Heidi im Artikel Silvester ist Gülletag berichtet hatte; damals war es kalt.

In der EU ist das Güllen im Winter, also auch an Weihnachten verboten, es gibt Sperrfristen für das Düngen. Desgleichen im Fürstentum Liechtenstein, wo die Sperrfrist für Lagen unter 800 m ü.M. vom 15. Dezember bis 15. Februar dauert, für Lagen über 800 m ü.M. vom 15. November bis 15. März, d.h. es ist auch im Fürstentum Liechtenstein verboten, an Weihnachten zu güllen. Die Schweiz hingegen setzt diesbezüglich auf Vielfalt der Regelungen und Eigenverantwortung der LandwirtInnen. Jeder Kanton (bzw. dessen Landwirtschaftsamt) kann selber entscheiden, ob er Sperrfristen will oder nicht.

Unmittelbar vor Weihnachten haben das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Bundesamt für Landwirtschaft die neue Vollzugshilfe Nährstoffe und Verwendung von Düngern in der Landwirtschaft herausgegeben, welche die Wegleitung für den Gewässerschutz in der Landwirtschaft von 1994 ersetzt. Heidi hat darin nachgeschlagen. Stickstoffhaltige Dünger (wie Gülle und Mist) dürfen gemäss Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung vom 18. Mai 2005 (ChemRRV) weiterhin nur zu Zeiten ausgebracht werden, in denen die Pflanzen den Stickstoff aufnehmen können. Explizit erwähnt ist das Ausbringverbot auf brachliegende Felder bis zwei Wochen vor der voraussichtlichen Ansaat bzw. dem Anpflanzen der Folgekultur, ein Verbot, das häufig übertreten wird, siehe Heidis Diaschau Nach der Maisernte Gülle für die Stoppeln! Zudem ist das Ausbringen von flüssigen Düngern auf wassergesättigten, gefrorenen, schneebedeckten oder ausgetrockneten Boden nach wie vor ein massiver Verstoss gegen die ChemRRV.

Was spricht für Sperrfristen?
Heidi liest in der neuen Vollzugshilfe, Seite 18: „… In den meisten Regionen der Schweiz kann somit davon ausgegangen werden, dass zumindest in den Monaten Dezember und Januar grundsätzlich Vegetationsruhe herrscht, d. h. dass die Pflanzen den Stickstoff nicht in genügendem Mass aufnehmen können. Da dies aber nicht überall der Fall ist, kann gesamtschweizerisch kein allgemeingültiger Zeitraum der Vegetationsruhe definiert werden…“ Wegen der wenigen Ausnahmen nimmt man die grosse Gefahr der Umweltverschmutzung durch Düngen im Winter in Kauf:

  • Gewässer- oder Grundwasserverschmutzung mit Stickstoff, Phoshor, Schwermetallen, Pflanzenschutzmittel-Rückständen, Tierarzneimitteln und Krankheitserregern durch Abschwemmung oder Versickern
  • Lachgas-Emissionen aus wassergesättigten Böden, gedüngten Ackerflächen oder bei einem Kälteeinbruch nach dem Düngen. Lachgas ist ein Treibhausgas dessen Treibhauswirksamkeit 298-mal so gross ist wie die von CO2; es trägt somit zur Klimaerwärmung bei. Zudem ist Lachgas an der Zerstörung der Ozonschicht beteiligt.

Was spricht gegen Sperrfristen?
Der Druck der Bauernschaft, der stärker ist als Worte der Vernunft. Der Schweizerische Bauernverband hat es im Rahmen der Agrarpolitik 2014-17 klar gesagt: Wir wollen produzieren, die Ökologie interessiert uns nicht. Wie stellt sich der SBV landwirtschaftliche Produktion OHNE Ökologie vor? Die Schweizer Behörden werden sich also weiterhin auf Kosten der SteuerzahlerInnen um Winter-Gülle-Fälle und Winter-Mist-Fälle kümmern müssen, wobei beim geringsten Zweifel für den Angeklagten entschieden wird. Wegen der mangelnden Verankerung des Gewässerschutzes in der Direktzahlungsverordnung sind die finanziellen Konsequenzen eines Vergehens klein im Verhältnis zum Geldsegen aus Bern. Klarheit fehlt allgemein beim Festlegen von Landwirtschaftsregeln. Die Vorschriften sind meist vage, Ausnahmen gibt es viele, so dass man sich nach dem Lesen verwirrt fragt: „Ist das jetzt verboten oder erlaubt?“

Können die Bauern die Umweltgefahr im Winter richtig einschätzen?
Das folgende Beispiel lässt grosse Zweifel aufkommen.  „Die Spitze des Zürcher Bauernverbandes staunte an einem Anlass Mitte Januar nicht schlecht: Rund um den Strickhof in Winterthur, dem kantonalen Ausbildungszentrum für Landwirte, lag grosszügig Mist auf den Feldern – es wurde heftig diskutiert, und sogar die Polizei überprüfte den Frevel…“ Politohr, Sonntagszeitung vom 12. Februar 2012. Selbst „Vorbilder“ irren sich bisweilen gewaltig. Weitere Beiträge zum Thema auf Heidis Mist:

Im Januar hat der Weinbauer Zeit

Sorglos güllen im Sommer und Winter

Das Grönland-Eis schmilzt immer schneller; 97 Prozent der Eisdecke sind von der Schmelze betroffen.

Das Grönland-Eis schmilzt immer schneller; 97 Prozent der Eisdecke sind von der Schmelze betroffen.

Am 28.12.12 eingetroffen: Neueste Zahlen zur Schmelze der Grönland-Eis-Decke von James Hansen, dem Klimaforscher der ersten Stunde. Weil das Eis immer rascher schmilzt, stellt sich die Frage: Ist die Abnahme exponentiell? Ausführliche Informationen auf Jims Homepage, Dec. 26, 2012, Update of Greenland Ice Sheet Mass Loss

31.12.12 HOME


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