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Neue Pestizid-Anforderungswerte für Oberflächengewässer: Rechnen mit Heidi

1. März 2018

Gablers Wirtschaftslexikon über Grenzwerte in der Umweltpolitik: „… Die Festlegung eines Grenzwertes kann unterschiedlich normiert werden, bspw. als Anteil der Produktion oder der Abluft. Sie folgt naturwissenschaftlichen und ökonomischen Kriterien, unterliegt aber auch politischen Prozessen und damit dem Lobbyismus.“ Anforderungswerte sind Annahmen, also keine „wissenschaftlichen Erkenntnisse“.

Das Bundesamt für Umwelt will neue Pestizid-Anforderungswerte für Oberflächengewässer einführen. Die Vernehmlassung Gewässerschutzverordnung (GSchV) läuft bis 15.3.18; es bleibt also noch Zeit für die Erarbeitung von Stellungnahmen!

Betroffen sind 37 Pestizide. Vier Werte sind kleiner als der bisherige Wert, zwei bleiben wie bisher 0,1 µg/l, für 31 Pestizide sind höhere Werte vorgesehen. Der höchste Wert beträgt das 10’300-fache des bisherigen Grenzwerts.

Eines der Ziele für Oberflächengewässer gemäss GSchV ist, dass Stoffe, die natürlicherweise im Gewässer nicht vorkommen, nur in Konzentrationen nahe bei Null vorhanden sind! Das BAFU ist also grausig auf dem Holz- bzw. Lobbyweg. Das Wasser gehört allen, nicht nur den Wasserlebewesen! Wasser ist Leben – schmutziges Wasser gefährdet Leben.

Durchschnittlich 40 Wirkstoffe in Gewässerproben

Die Eawag hat in einem aufwendigen Screening in Wasserproben von Schweizer Fliessgewässern über 100 von 300 zugelassenen Wirkstoffen gefunden. Für 31 Substanzen wurde der Grenzwert der Gewässerschutzverordnung verletzt. Jede Probe enthielt im Durchschnitt 40 unterschiedliche Stoffe.

Rechenbeispiel: Künftig 727 mal mehr Pestizide in Gewässern erlaubt?

Heidi hat nun ausgerechnet wie hoch die Konzentration eines theoretischen Pestizid-Cocktails in Zukunft sein darf. Sie hat die 37 neuen (sogenannten risikobasierenden/für Wasserlebewesen) Anforderungswerte und drei allgemeine Werte von 0,1 µg/l zusammengezählt, d.h. total 40 Werte addiert; dies in Anlehnung an die von der Eawag in Gewässern gefundenen durchschnittlichen Zahl von Stoffen.

Wenn also diese 40 Pestizide in einem Gewässer in einer gerade noch erlaubten Konzentration vorkommen, dann macht dies total genau 2’906,96484 µg/l aus. Gemäss der heute gültigen Gewässerschutzverordnung wären maximal 40 x 0,1 µg/l zugelassen, also 4 µg/l. Wenn es nach dem Willen des BAFU geht, dann darf in einem Bach – wie dieses Rechenbeispiel zeigt – in Zukunft die 727-fache Konzentration an Pestiziden vorhanden sein, ohne dass die Kantone einen Finger rühren müssen. Der vielerorts nicht existente Vollzug ist somit schon fast gerettet. Und die Zulassungsbestimmungen? Müssen sie in Zukunft nicht verschärft werden? Potz Blitz und Tonner! Simsalabim!

Wert für das Neonicotinoid Thiamethoxam

Für Wild- und Honigbienen sind Neonicotinoide, eine Gruppe hochwirksamer Insektizide, eine Gefahr. Das hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) in einem aktuellen Bericht erneut klargestellt. Trotzdem will das BAFU den Wert des Neonicotinoids Thiamethoxam auf das 14-fache erhöhen; das Mittel schadet offenbar den Wasserorganismen nicht – da kann man doch! Die Bienen halten sich ja nicht im Bach auf, trinken höchsten daraus.

Heidis Vorschlag

Das Vorsorgeprinzip muss hochgehalten und das Ziel der GSchV respektiert werden. Weil Oberflächengewässer Menschen und Tieren als Trinkwasserquelle dienen, zur Bewässerung von Kulturpflanzen verwendet werden und sie das Grundwasser speisen, soll für alle Pestizide der allgemeine Anforderungswert von 0,1 µg/l gelten. Zusätzlich ist ein Summenwert von 0,5 µg/l einzuführen. Höchst schädliche Pestizide wie Chlorpyrifos und Cypermethrin sind aus dem Verkehr zu nehmen statt neue Anforderungswerte von 0,0044 bzw. 0,00044 µg/l festzuschreiben, denn – so meint Heidi – sie bewirken kaum etwas.

Grenzwert, Gablers Wirtschaftslexikon, Prof. Dr. Heinrich Holland


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