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Der stumme Frühling – Zur Notwendigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes

28. Mai 2018

 

„Einträge von Pestziden sind neben dem Klimawandel, massiven
Veränderungen der globalen Nährstoffkreisläufe, der Zerstörung von
Lebensräumen und weiteren Faktoren eine wesentliche Grösse im Konzept der planetaren (Belastungs-)Grenzen, wonach das Überschreiten kritscher Grenzwerte zu tiefgreifenden Störungen im Erdsystem führt.“ Die Natonale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat ein Diskussionspapier über Pestizide und ihren Auswirkungen verfasst. Das Fazit lautet:

„Die konventionelle landwirtschaftliche Pflanzenschutzpraxis hat einen Punkt erreicht, an dem wichtige Ökosystemfunktonen und Lebensgrundlagen ernsthaft in Gefahr sind. Bisherige Lösungsansätze sind an ihre Grenzen gekommen und es besteht dringender Bedarf zu handeln; Ansätze hierzu wurden in dieser Schrift formuliert. Das kritsche Hinterfragen lange akzeptierter Dogmen und Praktiken sowie eine interdisziplinäre Herangehensweise sind hierfür unabdingbar.

Insgesamt müssen die vielfältigen Umweltbelastungen durch Pestizide im grösseren Rahmen der europäischen Agrar- und Chemikalienpolitik gesehen und behandelt werden. In beiden Bereichen ist grundsätzliches Umdenken erforderlich. Auch globale Aspekte müssen berücksichtgt werden, z.B. bei den in grossen Mengen importierten Soja-Futtermitteln, deren Produkton nicht den hiesigen Regularien entspricht und Belastungen mit problematischen und hierzulande verbotenen Pestiziden in unbekannter Höhe mit sich bringen kann. Die intensive, konventionelle Landwirtschaft lässt sich in der heutigen Form aus vielen Gründen nicht langfristig fortführen; ihre Umweltbelastungen (z.B. Nitratbelastung des Grundwassers, Habitatverlust für Vögel und Insekten, Bodenverdichtung, Verlust der biologischen Vielfalt einschliesslich der Diversität von Fruchtpflanzen) sind zu hoch und dennoch ist der wirtschaftliche Ertrag für viele Landwirte zu niedrig. Die Pestizidproblematk muss als ein wichtiger Aspekt dieses systemischen Problems und seiner Lösungen gesehen werden.

Die Chemikalienproblematk gestaltet sich ähnlich, geht aber insgesamt über die Pestizidproblematik hinaus. Auch das Zulassungsverfahren für Chemikalien erfordert – trotz der Einführung von REACH116 – ein Umdenken (116 REACH ist eine Verordnung der Europäischen Union, um den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können, zu verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie in der EU zu erhöhen. Darüber hinaus fördert sie Alternativmethoden zur Ermittlung schädlicher Wirkungen von Stoffen, um die Anzahl von Tierversuchen zu verringern.).

Zentral ist, dass Pestizide im Zusammenhang mit der Anwesenheit vieler anderer Substanzen, denen Mensch und Umwelt ausgesetzt sind (Pharmazeutika, Biozide, Düngemittel, Industriechemikalien), betrachtet werden müssen. Die Kombinatonswirkungen mehrerer Substanzen, die gleichzeitig oder auch nacheinander auf einen Organismus einwirken, wie dies in Tankmischungen oder durch sequenzielle Anwendungen (Spritzserien) erfolgt, werden in der Risikobewertung systematsch ausgeblendet. Dadurch werden die Risiken durch Chemikalien systematsch unterschätzt.

Wir sind der Überzeugung, dass die hier aufgezeigten Erkenntnisse über unerwünschte Wirkungen von Pestiziden eine massgebliche Bedeutung für die Zulassungsentscheidung und für die Anwendung von Pestiziden haben müssen und dass die kontinuierliche wissenschafliche Beobachtung der Wirkungen von Pestiziden effektiv in das Kontrollsystem einzuspeisen ist. Dies bedeutet, dass das Kontrollsystem auch nach der Zulassungsphase konsequent zur Generierung weiteren Risikowissens anhalten muss.

Es sollte im Interesse aller sein, Anbau- und Pflanzenschutzstrategien zu erarbeiten, die langfristg ausreichende Erträge gewährleisten, ohne dabei die Umwelt nachhaltig zu schädigen. Wesentliche Grundlagen hierfür bieten u.a. ein konsequenter integrierter und ökologischer Pflanzenbau – d.h. Pestzideinsatz nur als ultma ratio, eine standortgerechte Frucht- und Sortenwahl, die Zucht von konkurrenzstarken und gegen Schaderreger resistenten Sorten und ein möglichst massvoller Einsatz möglichst spezifscher, wenig persistenter Agrochemikalien. Wir plädieren zu diesem Zweck entschieden für einen partizipativen Ansatz mit allen betroffenen Akteuren. Basis der Verhandlungen sollten gemeinsame Werte sein, insbesondere langfristg sauberes Trinkwasser, Nahrungsmittelsicherheit und eine vielfältige, artenreiche und ästhetisch ansprechende Umwelt.

Insgesamt halten wir fest, dass es bei Weitem unzureichend wäre, die Pestizidproblematk mit punktuellen, spezifischen Massnahmen anzugehen, da sie eng mit verschiedenen anderen Faktoren gekoppelt und daher schwerer zu bearbeiten und zu lösen ist als isolierte Probleme. Deshalb ist es dringend geboten, die Pestizidproblematk als systemisches Problem zu sehen und zu behandeln. Andernfalls werden sich Entwicklungen wie Insektenschwund, Aussterben von Vogelarten, Grundwasser- und Bodenbelastung durch Pestizidrückstände etc. weiter verschärfen. Neben spezifischen und lokalen Massnahmen müssen in der europäischen Agrar- und Chemikalienpolitk unbedingt neue Perspektiven gefunden werden.“

Der stumme Frühling – Zur Notwendigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes, Natonale Akademie der Wissenschaften Leopoldina,  2018 | Diskussion Nr. 16

28.5.18 HOME

Wasser kennt keine Grenzen

20. Februar 2012
DSC02035_Ruinaulta_Fischer

Vorderrhein in der Rheinschlucht (Ruin Aulta). Das Wasser des Rheins beherbergt nicht nur Fische, es hat auf seiner 1300 km langen Reise einiges zu schlucken.

Grosse Mengen von Stickstoffverbindungen, Phosphor, Pflanzenschutzmittel und Schwermetalle gelangen in unsere Gewässer. Fast im ganzen Einzugsgebiet des Rheins sind Teile des Grundwassers gefährdet. „2007 forderten die für den Schutz des Rheins zuständigen Ministerinnen und Minister der Rheinanliegerstaaten erneut, die Einträge von Schadstoffen und Stickstoffverbindungen vor allem aus diffusen Quellen wie der Landwirtschaft weiter zu vermindern, um die menschliche Gesundheit, das Ökosystem oder dessen Nutzungen nicht weiter zu gefährden“, diese Mitteilung ist zu lesen auf einer Internetseite der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR), Landwirtschaft.

Die Schweiz hat sowohl das Übereinkommen zum Schutz des Rheins (SR 0.814.284) als auch jenes zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (SR 0.814.293) ratifiziert. Damit hat sie sich verpflichtet, Verschmutzungen des Rheins und des Nordostatlantiks zu verhindern und zu beheben. Der Bund ist dafür verantwortlich, dass diese Verpflichtungen erfüllt werden. Für die Umsetzung der Übereinkommen wurden zwei Kommissionen eingesetzt: IKSR und OSPAR. Der Bund ist in beiden vertreten. Was sind die Aufgaben der Kommissionen? Sie beschliessen und empfehlen Massnahmen zur Umsetzung der Übereinkommen und beurteilen deren Wirksamkeit sowie den Zustand der geschützten Gewässer. In der IKSR sind auch die Rheinanliegerkantone vertreten.

Die Schweiz erfüllt ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen wie folgt. Die nötigen Massnahmen werden in den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen verankert, besonders im Gewässerschutzgesetz (GSchG) und in der Gewässerschutzverordnung (GSchV). Ein Beispiel dafür ist Art. 7 des GSchG, die allgemeine Bewilligungspflicht für das Einleiten von Abwasser in Gewässer. Anhang 3.1 Ziff. 3 Nr. 2 GSchV z.B. dient der Umsetzung der OSPAR-Konvention. Er verpflichtet die Kantone im Einzugsgebiet des Rheins zu planen, wie ab 2005 aus Abwasserreinigungsanlagen 2’600 Tonnen Stickstoff weniger eingeleitet werden als 1995. Verpflichtungen, die in das nationale Recht aufgenommenen werden, unterliegen den üblichen Zuständigkeitsregelungen. Für den Vollzug des Gewässerschutzrechts sind die Kantone zuständig. Der Bund übt die Aufsicht aus.

Als Heidi aus der Grossstadt in ihre Heimat zurückkehrte, hiess es: „In Graubünden fliesst kein Seifenwasser bachab!“ Dass dies Schönrederei war, hat sie in all den Jahren mit eigenen Augen gesehen. Wie schrieb doch ein Kommentator: „Es ist leider nun halt mal nicht anders möglich für die Bauern und dies schon lange bevor Sie hierher gezogen sind.“ Man mag es Heidi nicht verargen, dass ihr der Glaube an Gesetzte und deren Vollzug ein bisschen abhanden gekommen ist. Wo bleibt eine Qualitätskontrolle für Gesetzesvollzug?

20.2.12 HOME


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