Heidi findet im Pflanzenschutzmittelverzeichnis des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen immer wieder Pestizide, die das Kind im Mutterleib schädigen oder die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder vermutlich Krebs erzeugen können usw. Viele Pestizide sind sehr giftig für Wasserorganismen. Heidi frägt sich dann: „Wie kommt es, dass solche Pestizide überhaupt bewilligt wurden, ja sogar für das Sprühen aus der Luft mit Helikoptern. Das Folgende schafft hier Klarheit.
Massnahmen an der Quelle nötig
„Mein Vater, Bauer in Buchs/ZH, mischte in den 1950er Jahren DDT direkt in die Kalkmilch für das Weisseln des Kuhstalls. In den ersten Jahren starben die Fliegen phänomenal, dann liess die Wirkung nach. Höhere Dosen mussten eingesetzt werden.“ Das schreibt Hans Maurer Bauernsohn, Chemiker und Rechtsanwalt im Beitrag „Schädliche Pestizide in der Umwelt: Rechtsmängel, Vollzugsmängel, Verbesserungsmöglichkeiten“, der in der Fachzeitschrift Umweltrecht in der Praxis URP 7 | 2022 erschienen ist. Er zeigt auf, was alles schief läuft … – heute noch – und das ist viel!
Maurer kennt sich in der Pestizidproblematik aus wie kaum ein anderer. Für ihn ist klar, dass Verbesserungen dringend nötig sind. Das vom Bund im Jahre 2017 eingeleitete Programm zur Risikoverringerung (Aktionsplan Pflanzenschutzmittel) bekämpfe das Problem nicht an der Quelle. Ob es die Natur und Artenvielfalt zu schützen vermag, sei zweifelhaft. Nötig seien Massnahmen, die das Zulassungssystem verbessern, vermehrte Massnahmen an der Quelle sowie eine Verhaltensänderung der KonsumentInnen.
Pestizide schädigen die Natur und Artenvielfalt. Lange Zeit waren nur ein paar natürliche «Wirkstoffe» wie Schwefel oder Arsen gegen Schadinsekten oder Pilzkrankheiten bei Pflanzen bekannt. Erst ab den 1940er Jahren wurden immer mehr «chemische» Stoffe für den Pflanzenschutz entwickelt und eingesetzt.
Veraltete Pflanzenschutzgesetzgebung
Maurer: „Rechtsstaatlich und im Lichte einer vollzugstauglichen Gesetzgebung ist die PSMV ein Lehrbeispiel, wie man es nicht machen sollte.“ 1992 trat in der EU die erste Pflanzenschutzgesetzgebung in Kraft, die von der Schweiz einschliesslich der seither erfolgten Revisionen übernommen wurde (Pflanzenschutzmittelverordnung – PSMV). Noch heute basiert die PSMV auf dem Konzept von 1992, das jedoch durch den wissenschaftlichen Fortschritt und grossen Mehreinsatz von Pestiziden überholt sei, so Maurer.
2019 und 2021 hat der Bund die PSMV mit Regeln ergänzt, die das Zulassungsverfahren schwächen. Per 1. Januar 2019 setzte das BLW durch, dass die 10-jährige Befristung für PSM aufgehoben wird. Per 1. Januar 2021 setzte das BLW zudem ein Denkverbot für Mitarbeitende durch: Danach soll bei der Wirkstoffprüfung nur noch auf die «Beurteilungsergebnisse der EFSA sowie die Erwägungen der Kommission der EU» abgestellt werden, die meist nur einige zehn Seiten umfassen.
Diese Änderung sei verfassungswidrig, weil sie dazu führt, dass die Bundesaufgaben zum Schutz der Gesundheit der Menschen (Art. 118 BV), der Umwelt (Art. 74 BV), der Gewässer (Art. 76 BV) und Natur (Art. 78 BV) nicht umgesetzt werden. Die Bestimmung widerspreche auch dem übergeordneten Gesetzesrecht, namentlich dem Vorsorgeprinzip (Art. 1 Abs. 2 Umweltschutzgesetz [USG]) und dem Gebot der Rücksichtnahme auf schützenswerte Tiere und Pflanzen bei der Schädlingsbekämpfung (Art. 18 Abs. 2 NHG), denn beide Bestimmungen stellen auf wissenschaftliche Erkenntnisse ab, nicht auf Umstände, die sich aus (veralteten oder mangelhaften) Beurteilungen der EU ergeben.
Mangelhafter Vollzug
Zum einen seien es Rechtsmängel, welche die Schädigung von Natur und Artenvielfalt zur Folge haben. Zum anderen würden die bestehenden Vorschriften mangelhaft umgesetzt. Die EU-Regeln lassen sich zudem nicht 1:1 auf die Schweiz übertragen, da die Verhältnisse (z.B. Niederschläge) anders sind. Die Vollzugsmängel gehen auf eine unvollständige Rechtsanwendung und insbesondere Missachtung des Vorsorgeprinzips zurück. Dieses verlangt, dass umweltschädliche Stoffe primär an der Quelle bekämpft werden, also durch die Streichung von zugelassenen Wirkstoffen oder den Widerruf bestehender Pflanzenschutzmittelbewilligungen.
Das Inhaltsverzeichnis
Der Beitrag ist in klarem Deutsch verfasst, also für ALLE verständlich. Er ist in folgende Kapitel aufgeteilt:
I. Historisches
1. Von der Antike bis 1930
2. Erste Regulierung bis heute (Übersicht)
II. PSMV: schwer verständlich und veraltete Konzeption
1. Eugen Hubers Alptraum
2. Heutiges Recht beruht auf Konzeption von 1992
III. Systemversagen
1. Hintergründe
2. Rechtsmängel
3. Vollzugsmängel
4. Besondere Verhältnisse in der Schweiz vernachlässigt
IV. Bedeutung des Vorsorgeprinzips im Pflanzenschutzmittelrecht
V. Verbesserungsmöglichkeiten
1. Grundsätze
2. Bisherige Massnahmen des Bundes
3. Notwendige Massnahmen zum Schutz der Biodiversität
Lesen Sie den ganzen Beitrag!
Heidi empfiehlt ihren Leserinnen und Lesern den ganzen Artikel zu lesen. Immer wieder ist man erstaunt, z.B.:
„Einer Bemerkung wert sind die Gebühren für die Bewilligung von Pflanzenschutzmitteln. Diese sind mit einer Maximalhöhe von CHF 2’500.– für ein PSM mit einem neuen Wirkstoff (Art. 24c Gebührenverordnung GebV BLV]; Gesamteinnahmen rund CHF 100’000.–/Jahr, Angabe für 2018) überaus tief und vermögen den Aufwand der beteiligten Behörden (BLV, BAFU, SECO, BLW, Agroscope; total 27 Vollzeitäquivalente) bei weitem nicht zu decken. Bei durchschnittlichen Kosten von CHF 150’000.–/Stelle resultiert ein Kostendeckunsgrad von mageren 2 Prozent.
Die tiefen Gebühren erklären wohl, warum auf dem Schweizer Pestizidmarkt basierend auf nur 300 Wirkstoffen geschätzt 4’000 Produkte zugelassen sind, was die Marktüberwachung durch die dafür zuständigen Kantone (Art. 80 PSMV) faktisch verunmöglicht, und warum ein aufgestauter Berg von 700 Gesuchen (Stand Juni 2022) teils seit über sechs Jahren einer behördlichen Behandlung harrt. Da die Pestizidvermarktung ein kommerzielles Geschäft bildet, ist die Gesuchsbehandlung zu Lasten der Staatskasse verfehlt. In Deutschland beträgt die Gebühr CHF 64’000.– bis 251’000.– pro Bewilligung eines PSM mit einem neuen Wirkstoff.“
Die KonsumentInnen könnten handeln!
„Es wäre im Gesamten allerdings zu kurz gegriffen, die KonsumentInnen zu vergessen. Sie haben es in der Hand, durch den Einkauf (Bio statt konventionell), Konsum (mehr pflanzliche statt tierische Produkte) und weniger Food-Waste den Einsatz von Pestiziden, auch im Ausland, stark zu verringern …
Indem der Bund die Produktion von tierischen Lebensmitteln massiv subventioniert und die Fleischwerbung unterstützt, wirkt er dem eigenen Ziel eines nachhaltigen Ernährungssystems entgegen.“
Nun aber genug copy & paste! Hier finden Sie den vollständigen Artikel; er ist ausgesprochen aufschlussreich:
Schädliche Pestizide in der Umwelt: Rechtsmängel, Vollzugsmängel, Verbesserungsmöglichkeiten. Hans Maurer, Umweltrecht in der Praxis URP 7 | 2022
Heidis Frage: „Wollen wir weiterhin so schlampige oder eher verantwortungslose Regulierungen der Pestizide akzeptieren?“
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