
Fabrikant Huldreich Ottiker, Besitzer der damaligen Weberei Ottiker in der Waldau, erwarb die Liegenschaft „Feldegg“ im Jahre 1882, baute sie um und nannte sie fortan „Lindengut“. Das Lindengut ging später in den Besitz der Habis Textil AG über. Anlässlich ihres 125-jährigen Jubiläums schenkte die Firma, damals die grösste Arbeitgeberin von Flawil, unter der Führung von Inhaber Rolf Schiess das Lindengut der neu errichteten „Stiftung Lindengut“ als Ort der Begegnung und für kulturelle Zwecke, insbesondere für die Einrichtung eines Ortsmuseums.
Zitat aus Der landwirtschaftliche Pflanzenbau, 1965, von Rudolf Koblet, damals Professor für Pflanzenbau an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETHZ):
Der Flachs (Linum usitatissimum L.) zählt seit der Zeit der Pfahlbauer zu den Ackergewächsen unseres Landes. Die Leinwandweberei, die vom 13. Jahrhundert an in St. Gallen und in seinem Hinterland blühte, stützte sich zum Teil auf den einheimischen Flachsbau, ebenso die im 18. Jahrundert stark hervortretende Heimindustrie der Berner Landschaft. Als Folge des Umschwungs zugunsten der Baumwolle war die flachsverarbeitende Industrie in der Ostschweiz schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast völlig verschwunden …“
Dieser Umschwung erfolgte schlagartig. Grund dafür waren die neuen Transportmöglichkeiten. Zudem war Leinwand nicht mehr modern und teurer. Darunter litten die auf Flachs spezialisierten Bauern. Hingegen profitierte die Ostschweizer Textilindustrie, besonders die St. Galler Stickereibetriebe. Die St. Galler Spitzen waren vor dem Ersten Weltkrieg das wichtigste Exportgut der Schweiz. Anfang der 1920er Jahre änderte sich die Mode, Spitzen waren nicht mehr gefragt, sondern funktionale Kleidung. Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte zu einem drastischen Rückgang der Nachfrage nach Spitzen und somit zu Entlassungen, verbunden mit Auswanderungen.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde vermehrt Flachs angebaut. Kobelt: „Die Verknappung an Textilien während der Kriegszeit führte dazu, dass sich bis 1943 10’910 Betriebe dem Anbau von Flachs zuwandten. Die Anbaufläche betrug in diesem Jahr 225 ha. Nach 1945 setzte erneut ein rascher Rückgang ein.“
Die Textilindustrie in der Ostschweiz hingegen profitierte von der Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg. Automation verhalf zu einem vorübergehenden Aufschwung. Ab Mitte der 1950er Jahre wurden vermehrt auch billige GastarbeiterInnen aus Italien und Spanien beschäftigt. Aber schon bald kam trotzdem für die meisten Betriebe das Ende. Textilien und Kleider wurden immer mehr in Billiglohnländern produziert, wo es auch geringere oder keine Umweltauflagen gibt. Viele Gewässer werden heute noch durch ungeklärte Abwässer von Textilfabriken massiv verschmutzt.
In der Schweiz wehrte sich noch Anfang der 1970er Jahre ein Textilunternehmen mit Hilfe weiterer CEOs aus anderen Branchen vehement gegen neue Abwasservorschriften. Doch das Amt in St. Gallen blieb hart. Der zuständige Beamte schrieb den Herren am Schluss eines abschliessenden Briefes: „Ich habe zwei Ordner mit Zuschriften zu ihrem Fall. Einer mit positiven. Dieser ist voll. Der andere Ordner mit negativen ist fast leer. Ich lege jetzt Ihren Brief in den fast leeren Ordner ab.“ Somit war der Fall erledigt, die verlangten Gewässerschutzmassnahmen mussten erfüllt werden.
Nicht ganz vergessen darf man, dass auch die Schweizer Textilindustrie vom Kolonialismus profitiert hatte. Eindrücklich geschildert wird die Geschichte der Baumwolle im Buch King Cotton von Sven Beckert. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus, erschienen bei C.H. Beck.
Zum Unesco Welttag des Audiovisuellen Kulturerbes vom 20.10.21
Auch dieses Jahr präsentiert das Lichtspiel zum Welttag des Audiovisuellen Kulturerbes Schätze aus seinem Archiv, die im Verlauf der letzten 12 Monate eingelangt sind und gesichert werden konnten. Dieses Mal begeben wir uns in die Ostschweiz, genauer nach Flawil, denn dort machte um 1905 das Wanderkino von Alexander Dahlmann-Fasold Station und filmte die Menschen, die die damalige Weberei Ottiker verlassen. Die Nachfahren der Familien Habisreutinger-Ottiker und Schiess haben die Restaurierungen finanziert. In den Filmen aus den 1920er Jahren dokumentieren die damaligen Besitzer die Fabrik und das Familienleben. Dank der umsichtigen Aufbewahrung können wir die Filme heute in aller Pracht sehen.
Parallel zu unserer analogen Filmvorführung finden Sie ab 20.10.2021 zusätzliche Informationen in unserer Rubrik „Kinogeschichten“.
Die Vorführung wird eingeführt durch Urs Schärli vom Ortsmuseum in Flawil und musikalisch live begleitet von Wieslaw Pipczynski.
Wir präsentieren das Programm im Saal und strahlen es auch als Live-Stream aus
Liebe Leserinnen und Leser, blicken Sie zurück in eine andere Zeit, in die Blütezeit der Schweizer Textilindustrie!
FRISCH AB LABOR 2021. 20.10.21, Lichtspiel CH
18.10.21 HOME