
Briefmarke von São Tomé e Príncipe
Nachhaltig ist heute alles, es kommt nur auf den Blickwinkel an, aus welchem man etwas betrachtet. Nachdem das indonesische und malaysische Palmöl trotz RSPO-Label etwas in Verruf geraten ist, suchen viele anderswo nachhaltiges Palmöl, z.B. in Afrika oder Südamerika. Bio Suisse hat jetzt für COOP „nachhaltiges“ Bio-Palmöl in São Tomé e Príncipe gefunden, siehe BIOAKTUELL 10/2020.
São Tomé e Príncipe ist der zweitkleinste Staat Afrikas, ein Inselstaat im Golf von Guinea. Er beherbergt eine Vielzahl von Vogelarten, z.B. grosse Bestände von Graupapageien, dann Frösche, Schlangen und Chamäleons. São Tomé e Príncipe ist ein Hot-Spot der Artenvielfalt, beherbergt viele Arten, die nur dort vorkommen.
Einst Kolonie von Portugal
Die zwei Inseln sind geprägt vom Kolonialismus. 1485 wurde die erste portugiesische Niederlassung gegründet. Sie diente als Umschlagplatz für den Sklavenhandel zwischen Afrika, Portugal, Brasilien und den karibischen Inseln, auch siedelte Portugal von der Inquisition ausgewiesene Juden sowie Strafgefangene hieher um. Ab 1572/3 war São Tomé direkt der portugiesischen Krone unterstellt. Plantagen wurden angelegt mit wechselnden Monokulturen wie Zuckerrohr, später Kaffee und seit 1850 Kakao, dann folgten Palmen, heute boomen Ölpalmen.
Die Kolonialherrschaft endete erst 1975. Seither wechseln sich Regierungen ab, die relativ instabil sind; und über Korruption wird berichtet.
Reisehinweise EDA für São Tomé e Príncipe
Das Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) schreibt:
- Es kann sporadisch zu Spannungen und Demonstrationen kommen, bei denen Ausschreitungen und gewaltsame Zusammenstösse zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften möglich sind.
Meiden Sie grosse Menschenansammlungen und Kundgebungen jeder Art.
- Im Golf von Guinea kommt es zu Piratenüberfällen. Beachten Sie die spezifischen Informationen
- Während der Regenzeit (Oktober bis Mai) sind die Strassen teilweise nur schwer passierbar. Benutzen Sie vorzugsweise ein Geländefahrzeug. Von nächtlichen Überlandfahrten wird abgeraten.
- Es wird davon abgeraten, militärische Installationen, Flughäfen, Brücken, Bauten und Einrichtungen der Verwaltung und oder den Präsidentenpalast sowie öffentliche Gebäude zu fotografieren. Das Fotografieren solcher strategisch wichtigen Objekte kann zu Auseinandersetzungen mit der Polizei führen. Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz können mit mehrjährigen Gefängnisstrafen und Geldbussen bestraft werden. Die Polizei nutzt ihr Recht, jemanden längere Zeit festzuhalten, bevor offiziell Anklage erhoben wird. Die Haftbedingungen sind sehr schwierig.
- Gleichgeschlechtliche Handlungen werden allgemein missbilligt.
- Die medizinische Versorgung ist nicht gewährleistet. In der Regel verlangen Krankenhäuser eine Vorschusszahlung, bevor sie Patienten behandeln. Eigenes Verbandsmaterial und Wegwerfspritzen können sich als nützlich erweisen. Für die Behandlung ernsthafter Krankheiten und Verletzungen wird die Rückkehr nach Europa empfohlen …
Über einst wahre Naturparadiese und Heiligtümer
Weekend Premium berichtete am 29.12.19: „Im zu Ende gehenden Jahr haben die Medien der Welt über Brasilien und die Abholzung gesprochen, die den Amazonaswald in schwindelerregendem Tempo verarmt. Es gibt aber auch andere Orte auf der Welt, einst wahre Naturparadiese und Heiligtümer der Artenvielfalt, über die weniger gesprochen wird, denen aber das gleiche Schicksal droht …
Der Notstand in São Tomé heisst Entwaldung. Und die Schuld liegt bei den multinationalen Konzernen, die den Äquatorialwald durch Palmölplantagen ersetzt haben. Das Hauptprodukt dieser Pflanzen, das Palmöl, ist in der Tat billig, profitabel und vielseitig und kann auf der ganzen Welt nicht nur in der Lebensmittelindustrie, sondern auch in einer unendlichen Anzahl von Produkten, einschliesslich Kosmetika, Zahnpasta, Reinigungsmitteln und Biodiesel, verwendet werden. Alles jedoch auf Kosten von Natur und Umwelt.“
In São Tomé wurden seit 2010 etwa 1’800 Hektar Wald für Ölpalmenplantagen zerstört. Es wird mobilisiert, um diese Ausdehnung einzudämmen und den Wald und die lokale Bevölkerung zu schützen.
Das Imperium Socfin im Steuerparadies Schweiz
Socfin, ein Belgischer Konzern, ist weltweit führend auf dem Palmölmarkt. Er hat Anfang 2000 in São Tomé e Príncipe 5’000 Hektaren Landnahme ausgehandelt oder verhandelt für Industrieplantagen. Das ist kein Zufall, denn Belgien hatte in den Anbauländern Kolonien und investierte dort früh.
Das Socfin-Imperium ist seit über einem Jahrhundert in Afrika präsent. Dank der Übernahme alter Kolonialunternehmen verwaltet Socfin Ölpalmen- und Kautschukplantagen, die zu den bedeutendsten der Welt gehören. In Afrika hat Socfin in folgenden Ländern Niederlassungen: São Tomé e Príncipe, Demokratische Republik Kongo, Liberia, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kamerun und Elfenbeinküste. Der französische Konzern Bolloré hält fast 40 Prozent der Anteile.
2010 hat Socfin den Firmensitz aus steuertechnischen Gründen in die Schweiz verlegt, nach Fribourg, da das Unternehmen hier lediglich 10 Prozent des Gewinns versteuern muss, gegenüber 34 Prozent in Belgien. Auch die Sozialabgaben für das Personal seien geringer in der Schweiz, gab Socfin in einem Interview mit La Liberté bekannt. Für diesen Standort ausschlaggebend waren auch private Kontakte von Führungskräften.
Seit Jahren wird Socfin wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen auf seinen Plantagen gerügt. Mehrere Klagen und Beschwerden wurden wegen angeblichen Fehlverhaltens eingereicht, darunter Unregelmässigkeiten bei Landerwerbsprozessen, schlechte Arbeits- und Wohnbedingungen und die fehlende nachhaltige Einbindung der lokalen Bauern. Socfin weist die Kritik zurück und sagt, das Ziel sei es, die Entwicklung in Afrika voranzutreiben und sicherzustellen, dass die lokalen Gemeinden und ihre Arbeiter davon profitieren.
So wird Socfin etwa Land Grabbing in Sierra Leone vorgeworfen. Das kirchliche Hilfswerk Brot für alle beschuldigt Socfin in einem im Februar 2019 veröffentlichten Bericht, mehr als zwei Dutzend Dörfer in Liberia für die Erweiterung von Kautschuk-Plantagen zerstört und deren Einwohner vertrieben zu haben.
Eine sehr detaillierte Geschichte über Socfin hat Mongabay im Juni 2020 veröffentlicht.
Romane über São Tomé und Príncipe
Als bedeutendster Romanautor auf São Tomé und Príncipes gilt seit seinem Roman „Tal der Illusionen“ (O Vale das Ilusões) von 1956 der neorealistisch geprägte Sum Marky (1921–2003). In „Am Altar des Gesetzes“ (No Altar da Lei) (1960) und in Vila Flogá (1963) etwa thematisierte er das Massaker von Batepá im Jahr 1953, als Gutsbesitzer mit Repressionen eine Welle der Gewalt gegen die schwarze Bevölkerungsmehrheit in São Tomé und Príncipe auslösten. Das Thema der kolonialen Unterdrückung nahm er auch in seinem letzten Roman „Chronik eines erdachten Kriegs“ (Crónicas de uma Guerra Iventada) (2001) wieder auf.
COOP und Bio Suisse auf kolonialen Pfaden
Bio Suisse stuft Palmöl als „kritischen Rohstoff“ ein, aber geht trotzdem Geschäfte mit einem Imperium ein, dessen Ruf schon nach wenigen Klicks im Internet vom Bildschirm heult. Per 31.3.21 ist Kakao und Palmöl von Agripalma (Socfin) aus São Tomé und Príncipes Bio Suisse zertifiziert: CERTIFICADO Basel, 31.01.2020, siehe auch Socfin -> Certifications.
Bio Suisse hat angeblich bereits in Kolumbien, Brasilien und Madagaskar „nachhaltiges“ Palmöl für COOP gefunden, siehe Heidi empfiehlt: Referendum „Stop Palmöl“ unterschreiben!
Bioaktuell 10/2020: „Bio Ostschweiz beantragte die Unterstützung des Referendums «Stop Palmöl» und damit die Nein-Parole zum Freihandelsabkommen mit Indonesien. Weil Bio Suisse nicht
direkt betroffen sei, schlug der Vorstand vor, keine Parole zu
fassen. 48 Delegierte unterstützten das (34 Nein, 14 Enthaltungen).„
Nachhaltiges Umdenken ist nötig
Es wäre an der Zeit, dass Verantwortliche in Organisationen, Politik und Industrie das Problem Palmöl in seiner ganzen Dimension erfassten, denn es geht weiter als nur zur zerstörerischen Produktion, sondern betrifft auch andere Aspekte wie Gesundheitsfragen, Umweltwirkungen von Transport und Mobilität, Klimaerhitzung usw. Wann endlich werden wir lernen?
Heidi meint: Die Suche nach „nachhaltigem“ Palmöl wird immer absurder.
Quellen
BIOAKTUELL 10/2020
São Tomé und Príncipe, Wikipedia
Bolloré, Wikipedia
Reisehinweise für São Tomé und Príncipe, veröffentlicht am 19.3.20, gültig am 15.12.20. Eidgenössisches Departement für
auswärtige Angelegenheiten (EDA)
Oil palm in Africa: past, present and future scenarios – 2013 update. Ricardo Carrere, World Rainforest Movement
L’EMPIRE SOCFIN – Part 1 – SAO TOMÉ. Micha Patault, Fotos 2020
Agripalma, Socfin.
Un empire très exotique à Fribourg, Socfin, Interview in La Liberté 28.6.17
Sao Tomé e Principe, un ecosistema a rischio per colpa dell’uomo. Weekend Premium 19.12.19
How the legacy of colonialism built a palm oil empire. Mongabay 26.6.20
Wie Kolonialismus und deine Handseife zusammenhängen. Mongobay 30.9.20
Degradationsrisiken tropischer Waldökosysteme – Multifaktorielle Fernerkundungs- und GIS-basierte Modellierung der Landschaftsvulnerabilität. Umgesetzt am Fallbeispiel von São Tomé. Inaugural-Dissertation Universität Heidelberg, Diplom-Geographin Signe Mikulane, 19.6.19
Kautschuk-Konzern vertreibt Bauern in Liberia. Brot für alle
São Tomé & Príncipe: Inseln der Illusionen Geo
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15.12.20 HOME
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