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Pestizide: Einst ein Wildwest-Geschäft – heute immer noch mangelhaft geregelt

9. März 2023
Copyright: Hans Maurer

Quelle: Umweltrecht in der Praxis URP 7/2022, Hans Maurer

Heidi findet im Pflanzenschutzmittelverzeichnis des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen immer wieder Pestizide, die das Kind im Mutterleib schädigen oder die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder vermutlich Krebs erzeugen können usw. Viele Pestizide sind sehr giftig für Wasserorganismen. Heidi frägt sich dann: „Wie kommt es, dass solche Pestizide überhaupt bewilligt wurden, ja sogar für das Sprühen aus der Luft mit Helikoptern. Das Folgende schafft hier Klarheit.

Massnahmen an der Quelle nötig

„Mein Vater, Bauer in Buchs/ZH, mischte in den 1950er Jahren DDT direkt in die Kalkmilch für das Weisseln des Kuhstalls. In den ersten Jahren starben die Fliegen phänomenal, dann liess die Wirkung nach. Höhere Dosen mussten eingesetzt werden.“ Das schreibt Hans Maurer Bauernsohn, Chemiker und Rechtsanwalt im Beitrag „Schädliche Pestizide in der Umwelt: Rechtsmängel, Vollzugsmängel, Verbesserungsmöglichkeiten“, der in der Fachzeitschrift Umweltrecht in der Praxis URP 7 | 2022 erschienen ist. Er zeigt auf, was alles schief läuft … – heute noch – und das ist viel!

Maurer kennt sich in der Pestizidproblematik aus wie kaum ein anderer. Für ihn ist klar, dass Verbesserungen dringend nötig sind. Das vom Bund im Jahre 2017 eingeleitete Programm zur Risikoverringerung (Aktionsplan Pflanzenschutzmittel) bekämpfe das Problem nicht an der Quelle. Ob es die Natur und Artenvielfalt zu schützen vermag, sei zweifelhaft. Nötig seien Massnahmen, die das Zulassungssystem verbessern, vermehrte Massnahmen an der Quelle sowie eine Verhaltensänderung der KonsumentInnen.

Pestizide schädigen die Natur und Artenvielfalt. Lange Zeit waren nur ein paar natürliche «Wirkstoffe» wie Schwefel oder Arsen gegen Schadinsekten oder Pilzkrankheiten bei Pflanzen bekannt. Erst ab den 1940er Jahren wurden immer mehr «chemische» Stoffe für den Pflanzenschutz entwickelt und eingesetzt.

Veraltete Pflanzenschutzgesetzgebung

Maurer: „Rechtsstaatlich und im Lichte einer vollzugstauglichen Gesetzgebung ist die PSMV ein Lehrbeispiel, wie man es nicht machen sollte.“ 1992 trat in der EU die erste Pflanzenschutzgesetzgebung in Kraft, die von der Schweiz einschliesslich der seither erfolgten Revisionen übernommen wurde (Pflanzenschutzmittelverordnung – PSMV). Noch heute basiert die PSMV auf dem Konzept von 1992, das jedoch durch den wissenschaftlichen Fortschritt und grossen Mehreinsatz von Pestiziden überholt sei, so Maurer.

2019 und 2021 hat der Bund die PSMV mit Regeln ergänzt, die das Zulassungsverfahren schwächen. Per 1. Januar 2019 setzte das BLW durch, dass die 10-jährige Befristung für PSM aufgehoben wird. Per 1. Januar 2021 setzte das BLW zudem ein Denkverbot für Mitarbeitende durch: Danach soll bei der Wirkstoffprüfung nur noch auf die «Beurteilungsergebnisse der EFSA sowie die Erwägungen der Kommission der EU» abgestellt werden, die meist nur einige zehn Seiten umfassen.

Diese Änderung sei verfassungswidrig, weil sie dazu führt, dass die Bundesaufgaben zum Schutz der Gesundheit der Menschen (Art. 118 BV), der Umwelt (Art. 74 BV), der Gewässer (Art. 76 BV) und Natur (Art. 78 BV) nicht umgesetzt werden. Die Bestimmung widerspreche auch dem übergeordneten Gesetzesrecht, namentlich dem Vorsorgeprinzip (Art. 1 Abs. 2 Umweltschutzgesetz [USG]) und dem Gebot der Rücksichtnahme auf schützenswerte Tiere und Pflanzen bei der Schädlingsbekämpfung (Art. 18 Abs. 2 NHG), denn beide Bestimmungen stellen auf wissenschaftliche Erkenntnisse ab, nicht auf Umstände, die sich aus (veralteten oder mangelhaften) Beurteilungen der EU ergeben.

Mangelhafter Vollzug

Zum einen seien es Rechtsmängel, welche die Schädigung von Natur und Artenvielfalt zur Folge haben. Zum anderen würden die bestehenden Vorschriften mangelhaft umgesetzt. Die EU-Regeln lassen sich zudem nicht 1:1 auf die Schweiz übertragen, da die Verhältnisse (z.B. Niederschläge) anders sind. Die Vollzugsmängel gehen auf eine unvollständige Rechtsanwendung und insbesondere Missachtung des Vorsorgeprinzips zurück. Dieses verlangt, dass umweltschädliche Stoffe primär an der Quelle bekämpft werden, also durch die Streichung von zugelassenen Wirkstoffen oder den Widerruf bestehender Pflanzenschutzmittelbewilligungen.

Das Inhaltsverzeichnis

Der Beitrag ist in klarem Deutsch verfasst, also für ALLE verständlich. Er ist in folgende Kapitel aufgeteilt:

I. Historisches

1. Von der Antike bis 1930

2. Erste Regulierung bis heute (Übersicht)

II. PSMV: schwer verständlich und veraltete Konzeption

1. Eugen Hubers Alptraum

2. Heutiges Recht beruht auf Konzeption von 1992

III. Systemversagen

1. Hintergründe

2. Rechtsmängel

3. Vollzugsmängel

4. Besondere Verhältnisse in der Schweiz vernachlässigt

IV. Bedeutung des Vorsorgeprinzips im Pflanzenschutzmittelrecht

V. Verbesserungsmöglichkeiten

1. Grundsätze

2. Bisherige Massnahmen des Bundes

3. Notwendige Massnahmen zum Schutz der Biodiversität

Lesen Sie den ganzen Beitrag!

Heidi empfiehlt ihren Leserinnen und Lesern den ganzen Artikel zu lesen. Immer wieder ist man erstaunt, z.B.:

„Einer Bemerkung wert sind die Gebühren für die Bewilligung von Pflanzenschutzmitteln. Diese sind mit einer Maximalhöhe von CHF 2’500.– für ein PSM mit einem neuen Wirkstoff (Art. 24c Gebührenverordnung GebV BLV]; Gesamteinnahmen rund CHF 100’000.–/Jahr, Angabe für 2018) überaus tief und vermögen den Aufwand der beteiligten Behörden (BLV, BAFU, SECO, BLW, Agroscope; total 27 Vollzeitäquivalente) bei weitem nicht zu decken. Bei durchschnittlichen Kosten von CHF 150’000.–/Stelle resultiert ein Kostendeckunsgrad von mageren 2 Prozent.

Die tiefen Gebühren erklären wohl, warum auf dem Schweizer Pestizidmarkt basierend auf nur 300 Wirkstoffen geschätzt 4’000 Produkte zugelassen sind, was die Marktüberwachung durch die dafür zuständigen Kantone (Art. 80 PSMV) faktisch verunmöglicht, und warum ein aufgestauter Berg von 700 Gesuchen (Stand Juni 2022) teils seit über sechs Jahren einer behördlichen Behandlung harrt. Da die Pestizidvermarktung ein kommerzielles Geschäft bildet, ist die Gesuchsbehandlung zu Lasten der Staatskasse verfehlt. In Deutschland beträgt die Gebühr CHF 64’000.– bis 251’000.– pro Bewilligung eines PSM mit einem neuen Wirkstoff.“

Die KonsumentInnen könnten handeln!

„Es wäre im Gesamten allerdings zu kurz gegriffen, die KonsumentInnen zu vergessen. Sie haben es in der Hand, durch den Einkauf (Bio statt konventionell), Konsum (mehr pflanzliche statt tierische Produkte) und weniger Food-Waste den Einsatz von Pestiziden, auch im Ausland, stark zu verringern …

Indem der Bund die Produktion von tierischen Lebensmitteln massiv subventioniert und die Fleischwerbung unterstützt, wirkt er dem eigenen Ziel eines nachhaltigen Ernährungssystems entgegen.“

Nun aber genug copy & paste! Hier finden Sie den vollständigen Artikel; er ist ausgesprochen aufschlussreich:

Schädliche Pestizide in der Umwelt: Rechtsmängel, Vollzugsmängel, Verbesserungsmöglichkeiten. Hans Maurer, Umweltrecht in der Praxis URP 7 | 2022

Heidis Frage: „Wollen wir weiterhin so schlampige oder eher verantwortungslose Regulierungen der Pestizide akzeptieren?“

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NaNas Zoo der Pestizid-Metaboliten

10. März 2020

NaNa zitiert:

AQUA & GAS: «NICHT RELEVANT» ODER «RELEVANT»? Wir wollen ein möglichst sauberes Wasser abgeben! Syngenta hat bekanntlich gegen das Verbot von Chlorothalonil Beschwerde eingereicht und kritisiert die Bundesbehörden in der NZZ vom 28.02. scharf. Mit dem Verbot des Wirkstoffs und der Einstufen aller Metaboliten als relevant, hätten sie einen nicht wissenschaftlich basierten Entscheid gefällt.“

Basler Zeitung (His Masters Voice) 20.2.20:Der Chemiekonzern hält das Verbot für «unverhältnismässig und willkürlich»: Selbst wenn ein Wirkstoff wie Chlorothalonil strenger klassifiziert werde, sei ein Metabolit nicht zwingend relevant. Syngenta verlangt vom BLV, die gesetzliche Grundlage für das Vorgehen zu nennen … Syngenta hat beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Verbot eingelegt. Es geht nicht zuletzt um viel Geld.“*

Schweizer Kantonschemiker:Die neue Einstufung eines Metaboliten von Chlorothalonil hat somit weitreichende Folgen für betroffene Wasserversorgungen. Dieser Fall zeigt, dass die langjährige Forderung der Kantonschemiker, nicht relevante Metaboliten in die Beurteilung der Zulassung von Wirkstoffen miteinzubeziehen, gerechtfertigt ist.“

Heidi meint:Seit im Jahre 2012 die neue Unterteilung zwischen „relevanten“ und „nicht relevanten“ Metaboliten von Pflanzenschutzmitteln eingeführt wurde, wird dies kritisiert, u.a. durch die Kantonschemiker …Tatsache ist, dass ganz, ganz viele Stoffe schon gar nicht gemessen werden und nicht für alle gibt es wohl Analysemethoden und alle zu untersuchen wäre viel zu teuer. Wer soll das bezahlen? Wer bezahlt das heute? Verursacherprinzip???? Und die Cocktail-Wirkung? Und die Rückstände in Lebensmitteln? Wo bleibt das Vorsorgeprinzip?

*NaNa: Exgüsi, wie hoch war wohl der Gewinn aus dem Chlorothalonil-Verkauf, während rund 50 Jahren!?

Kommentar: «nicht relevant» oder «relevant»? Wir wollen ein möglichst sauberes Wasser abgeben. Paul Sicher, SVGW vom 3.3.20

Gewässerschutz: Cloud-Tigerli basteln!

8. Januar 2018
Oberengadiner Misthaufen auf Wiese in Cinuos-chel-Brail, fotografiert am 22.2.17. Copyright: Céline. Siehe auch <a href="https://map.search.ch/Cinuos-chel-Brail,staziun-Haltestelle?pos=797916,168522&amp;z=4096" target="_blank" rel="noopener">Karte map.search</a>.

Oberengadiner Misthaufen auf Wiese in Cinuos-chel-Brail, fotografiert am 22.2.17. Copyright: Céline. Siehe auch Karte map.search.

Alle drängen in die Cloud, auch die Behörden (Cloud Computing-Strategie Schweiz, Ziel: für Behörden Cloud erschliessen und Risiken minimieren). Nun kann z.B. ein Bundesamt Fehler in einem in der kalifornischen Cloud erstellten Dokument nicht mehr korrigieren, wenn es zurück in der Heimat ist. Heidis Frage: „In welcher Cloud sind unsere Gesetze und Verordnungen abgelegt?“ Manchmal wäre es gut, wenn der Bundesrat keine Änderungen anbringen könnte.

Pestizide: Direktzahlungen auch für Nichtberechtigte

Über Papier-Tiger im Gewässerschutz schrieb Beatrix Mühlethaler am 13.12.17 im Infosperber: „Pestizide theoretisch letzte Wahl, real überall. Schweizer Bauern erhalten Direktzahlungen für naturverträglichen Pflanzenschutz. In Realität aber vergiften sie die Natur:

«Beim Schutz der Kulturen vor Schädlingen, Krankheiten und Verunkrautung sind primär präventive Massnahmen, natürliche Regulationsmechanismen sowie biologische und mechanische Verfahren anzuwenden.» So steht es in der Direktzahlungsverordnung des Bundes. Demnach dürften die Bauern zur Pestizidspritze erst greifen, wenn ein Schaden droht. Diese Bestimmungen gelten für alle Bauern, die Direktzahlungen beanspruchen. Und das sind über 95 Prozent der Betriebe in der Schweiz. Als Entgelt für die Leistungsentschädigung könnte die Bevölkerung somit erwarten, dass Bauern hierzulande mit Pestiziden keine Umweltschäden anrichten.“

Nährstoffe: Direktzahlungen auch für Nichtberechtigte

 

Am 2.11.17 verteilte der Bauer den Mist, welchen Céline schon am 22.2.17 fotografiert hatte. Er lag also mehr als acht Monate auf der Wiese, statt maximal sechs Wochen wie vorgeschrieben. Am 27.12.17 war am selben Ort wieder ein Häufchen, schneebedeckt. Wohin versickern Stoffe wie Nitrat? Alle haben es gesehen, niemand hat reklamiert. Nicht weit weg lag ein grösserer Misthaufen ebenfalls monatelang auf der Wiese neben dem Bauernhof.

Am 2.11.17 verteilte der Bauer den Mist, welchen Céline schon am 22.2.17 fotografiert hatte. Er lag also mehr als acht Monate auf der Wiese, statt maximal sechs Wochen wie vorgeschrieben. Am 27.12.17 war am selben Ort wieder ein Häufchen, schneebedeckt. Wohin versickern Stoffe wie Nitrat? Alle haben es gesehen, niemand hat reklamiert. Nicht weit weg lag ein grösserer Misthaufen ebenfalls monatelang auf der Wiese neben dem Bauernhof.

Ähnlich wie bei den Pestiziden sieht es bei den Nährstoffen aus. Die Eawag schrieb am 11.12.17 in ihrem Newsletter: „Die Zusammensetzung der Blaualgen in den Seen am Alpenrand wird seit fast 100 Jahren immer gleichförmiger. Profiteure der Klimaerwärmung und des zeitweiligen Nährstoffüberangebots sind dabei vor allem Arten, die sich sehr schnell an Veränderungen anpassen können und potentiell giftig sind.“ Was sagt der Aktionsplan Biodiversität dazu?

Das ist nur ein Beispiel von vielen. Der Sempachersee wird seit Jahrzehnten auf Kosten der Steuerzahlenden belüftet bzw. Gülle wird abtransportiert: 30 Jahre Sempachersee-Sanierung, Heidis Mist vom 28.12.13.

Selbst Kontrolleure beklagen die Lage: Frisieren von Nährstoffbilanzen, Pufferstreifen-Verletzungen, Ableitung von Abwässern in Gewässer, gesetzeswidrige Lagerung von Hofdünger usw. Heidis LeserInnen wissen, dass ihre veröffentlichten Beispiele keine Ausnahmen sind, wie gewisse Bauernvertreter es gerne sehen, sondern in einigen Kantonen häufig oder gar die Regel. Auch bei den rekordverdächtigen Ammoniak-Emissionen tut sich (ausser Forschung und Information) wenig.

Direktzahlungen werden regelmässig auch an Nichtberechtigte ausbezahlte. Hier könnte der Bund viel Geld sparen.

Das BLW verteilt jedes Jahr fast 3 Milliarden Franken Steuergelder gutgläubig an die Bauern, Heidis Mist vom 14.6.11

Direktzahlungen auch für Nichtberechtigte? Heidis Mist vom 13.2.14

… und viele Artikel mehr! Siehe auch Heidis Wünsche.

Der Bund hat die Oberaufsicht

Foto vom 6.4.16. Copyright: Céline

Foto vom 6.4.16. Copyright: Céline

Lange liegt der Mist schon auf der Wiese, der Witterung ausgesetzt. Vlies schützt nur beschränkt vor dem Versickern von Stoffen. Google Street View zeigt schon im September 2014 am gleichen Ort einen Misthaufen.

Lange liegt der Mist schon auf der Wiese, der Witterung ausgesetzt. Vlies schützt nur beschränkt vor dem Versickern von Stoffen. Google Street View zeigt schon im September 2014 am gleichen Ort einen Misthaufen.

In Artikel 46 des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) heisst es unter Punkt 1: „Der Bund beaufsichtigt den Vollzug dieses Gesetzes“. Wer ist der Bund? Wer immer es ist, er übt sich in vornehmer Zurückhaltung, denn die Kantone mögen es nicht, wenn „der Bund“ an ihrer „Selbständigkeit“ knabbert, auch wenn die Schäden auf Kosten des Volkes und der Umwelt hoch sind. Heidi meint: „Das muss sich ändern! Gesetze, Anforderungswerte und Vollzugshilfen allein bewirken keinen Vollzug.“

Besserer Vollzug durch neue Pestizid-Anforderungswerte für oberirdische Gewässer?

Statt den Kantonen ins Gewissen zu reden, schickt das BAFU höhere (auch tiefere) Anforderungswerte für Pestizide in Oberflächengewässern in die Vernehmlassung (GSchV). Dies in der Hoffnung auf einen besseren Gesetzesvollzug. Das ist naiv! Das ist ein Cloud-Tigerli. 27 Jahre alt ist das Gewässerschutzgesetz, noch heute funktioniert der Vollzug Landwirtschaft in vielen Kantonen unzureichend oder gar nicht. Die Kantone haben kein Geld, die Kantonschemiker klagen über Stellenabbau, der Kanton Waadt hat kein Geld für weitere Sanierungsprojekte gemäss GSchG Art. 62a und er ist nicht der einzige.

Häufig werden Vollzugsaufgaben den Gemeinden delegiert, welche oft weder den Willen, die Ressourcen noch das Fachwissen für den Vollzug haben. Welches Verkehrschaos hätten wir, wenn im Strassenverkehr die Einhaltung der Gesetze nicht regelmässig kontrolliert und Vergehen sanktioniert würden? Hier wie dort gibt es Tote.

Wo ist der wissenschaftliche Beweis?

Bei den neuen Anforderungswerten dürfte es sich grösstenteils um die „Herleitung“ aus Publikationen handeln, also nicht um „wissenschaftliche Beweise“ wie das gerne kommuniziert wird. Echte wissenschaftliche Nachweise sind schwierig und kostspielig. Im Dokument zur Einführung der neuen Anforderungswerte heisst es klipp und klar:

„… Wichtige Kriterien zur Auswahl der finalen Kandidaten waren zum einen eine prognostizierte Relevanz – so wurden z.B. Substanzen nicht ausgewählt, die in der Schweiz nicht mehr zugelassen sind – und zum anderen, dass sich die ausgewählten Stoffe ohne teure und aufwendige Spezialmethoden von den kantonalen Laboren messen lassen, da die Überwachung der Gewässerqualität Aufgabe der Kantone ist.“

Die Beurteilung von Pestiziden basiert zu einem Teil auf den Unterlagen des Zulassungsverfahren, d.h. auf Dokumenten der Industrie, im Weiteren auf Forschungsarbeiten zahlreicher Institutionen sowie den EU-Daten. Heidi unterstützt die Forderung nach einer unabhängigen Zulassungsinstanz. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ist nicht unabhängig.

Umweltqualitätskriterie: Herleitung von numerischen Anforderungen für die Gewässerschutzverordnung

Anreicherung in der Nahrungskette?

Für Wasserlebewesen sind die neuen Werte angeblich sicher. Und für die Vögel, die das Wasser trinken oder fischen, Frösche verspeisen, für Wildtiere aller Art? Akkumulieren sich gewisse Pestizide in den Sedimenten? Versickern sie ins Grundwasser? Anreicherung in der Nahrungskette? Hier hört die „Weisheit“ bzw. Wissenschaft auf. Stichproben des WWF haben hohe Werte in Fischen gezeigt: Pestizide in Schweizer Fischen gefunden, Tagesanzeiger vom 17.12.17.

Vorsorgeprinzip: Lernen aus der Vergangenheit

Es zeigt sich immer wieder, dass nicht mehr zugelassene Pestizide verwendet werden (auch Bauern kaufen ennet der Grenze ein oder sie legen vor dem Verkaufsverbot noch ein grosses Lager an) oder es tauchen längst verbotene Substanzen plötzlich „völlig unerwartet“ im Grundwasser auf. Daher sollte das Vorsorgeprinzip beachtet werden.

Es wäre zu teuer, all die Wirkstoffe und Formulierungen zu untersuchen, geschweige denn die Mischungen. Also muss man in erster Linie ansetzen bei den Vorschriften wie „Anwendung gemäss neuester Technik“, Kontrolle, Verbote usw. Etwa risikobasierende Kontrollen der Pufferstreifen zur „Spritz- oder Güllezeit“, was landwirtschaftliche Kontrolleure bereits vergeblich gefordert haben, denn es stört diese Landwirte, dass ihre Kollegen die Gesetze so unverfroren missachten „dürfen“. Protokollführung über jede einzelne Anwendung mit Angabe der behandelten Fläche sollte eingeführt werden sowie Einführung eines Registers für Pestizidverkäufe.

Änderung des Direktzahlungssystems nötig

Das Gewässerschutzgesetz enthält gute Artikel zum Schutz der Umwelt:

  •  Art. 3 Sorgfaltspflicht: Jedermann ist verpflichtet, alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt anzuwenden, um nachteilige Einwirkungen auf die Gewässer zu vermeiden.
  • Art. 3a Verursacherprinzip: Wer Massnahmen nach diesem Gesetz verursacht, trägt die Kosten dafür.
  • Reinheitsgebot: Die Gewässerschutzgesetzgebung verbietet jede Verunreinigung im Sinn von Art. 4 Bst. d des Gewässerschutzgesetzes (GSchG), die nicht ausdrücklich erlaubt ist. Eine Verunreinigung des Wassers liegt vor bei einer nachteiligen physikalischen, chemischen oder biologischen Veränderung des Wassers. Als „nachteilig“ zu qualifizieren ist jede messbare Mehrbelastung gegenüber dem Ausgangszustand, d.h. unabhängig vom ursprünglichen Reinheitsgrad des Wassers. Kommentar zum Gewässerschutzgesetz.

Statt die Bauern dafür zu bezahlen, dass sie die Gewässer weniger verschmutzen, müsste man sie zur Rechenschaft ziehen für Verschmutzungen, wobei die Überführung von Tätern bei Pestizidbelastungen von Gewässern nicht einfach ist; beim Grundwasser noch schwieriger. Aber wieso versucht man es nicht?

Ganz ohne Umweltverschmutzung kann Landwirtschaft wohl nicht betrieben werden, aber die heutige hohe Belastung von Luft, Boden und Wasser lässt sich sehr wohl durch gute landwirtschaftliche Praxis massiv vermindern. Ein erstrebenswertes Ziel ist eine Landwirtschaft frei von Pestiziden.

Unabhängige Zulassungsstelle für Pestizide. Offener Brief der Allianz Pestizidreduktion an Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann vom 27.9.17

Lösung Grenzwert-Überschreitungen: Grenzwert erhöhen! Heidis Mist vom 9.12.17

Die perfiden Spielchen mit den Grenzwerten, Heidis Mist vom 10.12.17

Cypermethrin oder der Glaube der Ämter an ihre Anforderungswerte, Heidis Mist vom 14.12.17

Neue Anforderungswerte für oberirdische Gewässer: Cartoon von NaNa, Heidis Mist vom 21.12.17

9.1.18 HOME

Von Donau Soja und Glyphosat

12. Mai 2016
Immer noch beliebt bei vielen Strassenunterhaltsdiensten: Herbizide! Dies obwohl ihr Einsatz klar verboten ist. Diese Woche hat Heidi eine entsprechende Meldung aus dem Kanton Schwyz erhalten. Symbolbild

Immer noch beliebt bei vielen Strassenunterhaltsdiensten: Herbizide! Dies obwohl ihr Einsatz klar verboten ist. Diese Woche hat Heidi eine entsprechende Meldung aus dem Kanton Schwyz erhalten. Symbolbild.

Man glaubt es kaum, aber bei der Produktion der viel gepriesenen Donau Soja wurde noch letztes Jahr Glyphosat als Sikkationsmittel eingesetzt, d.h. Glyphosat wird kurz vor der Ernte als Abreifehilfe auf die Pflanzen gesprüht, Donau Soja verbietet Glyphosat in der Abreife, Topagrar vom 23.3.16.

Wird Glyphosat in der EU wieder zugelassen?

„39 Organisationen aus 28 EU-Mitgliedstaaten fordern mit einem offenem Brief EU Minister und Behörden auf, am 18. und 19. Mai gegen eine europäische Wiedergenehmigung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat zu stimmen.

Die Unterzeichner machen deutlich, dass eine Wiederzulassung von Glyphosat erhebliche schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf die biologische Vielfalt haben würde. Die Krebsforschungsagentur der WHO (IARC) stufte Glyphosat als „wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen“ ein. Dies wird auch von führenden Wissenschaftlern bestätigt. Eine Wiedergenehmigung des Wirkstoffs Glyphosat würde somit gegen geltendes Recht verstoßen.“ PAN Germany, 12.5.16.

Die Glyphosat-Wiedergenehmigung verstößt gegen EU-Pestizidverordnung 1107/2009, offener Brief an die Ministerien für Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und an die Mitglieder des Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel der Europäischen Kommission

Der Lobbyist trinkt angeblich „trinkbares“ Glyphosat nicht!

Lobbyist Patrick Moore behauptet im Interview, Monsantos Roundup ist trinkbar, rastet aber aus, als er ein Glas trinken soll! Glyphosat ist trinkbar, youtube, uncutnews.ch.

Nachtrag: Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks verkündigt in einem Videostatement auf Twitter und Facebook: Alle SPD-geführten Ministerien werden der Wiederzulassung von Glyphosat nicht zustimmen. Sie stützt sich auf das Vorsorgeprinzip, wie es die Agenda 21 fordert: Agenda 21, Kapitel 35 Absatz 3.

„Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt muss dafür sorgen, dass die EU-Kommission das Pflanzengift endlich verbietet. Deutschland muss am 18./19. Mai mit „Nein“ stimmen! Schreiben Sie ihm jetzt! Mehr Informationen…“, Bund, Deutschland.

Weitere Zulassung von Glyphosat wackelt, Süddeutsche Zeitung vom 12.5.16

12.5.16 HOME

Glyphosat: Hat Bern das Vorsorgeprinzip vergessen?

15. Februar 2016
Weise Entscheide für eine lebenswerte Zukunft: Heidi empfiehlt den Bundesbehörden das Studium der Agenda 21.

Weise Entscheide für eine lebenswerte Zukunft: Heidi empfiehlt den Bundesbehörden das Studium der Agenda 21.

Die Glyphosat-Debatte ist hitzig, dauert an. „Im Kern geht es ums Vorsorgeprinzip: Gehört ein Wirkstoff verboten, solange nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, dass er unbedenklich ist? Oder soll er zugelassen bleiben, solange nicht sicher belegt ist, dass er ein Risiko darstellt?“ Diese Fragen stellte Stefan Häni im Tages Anzeiger vom 13.2.16, Bundesrat will importierte Esswaren auf Glyphosat prüfen.

VerbotsgegnerInnen vergleichen gerne den Gegenstand des Verbots mit Tabak und Alkohol, weil davon viele KonsumentInnen betroffen wären, auch ParlamentarierInnen und Bundesbeamte. Obwohl beide Stoffe nachgewiesenermassen gesundheitsschädigend sind, wäre ein solches Verbot gar nicht denkbar mit Blick auf die Prohibition in den Vereinigten Staaten. Einen Schadstoff mit einem Genuss(Sucht-)mittel zu vergleichen ist ein NoGo, meint Heidi. Nebenbei gesagt: Wir fördern mit Steuergeldern den Anbau von Tabak und „Alkohol-Pflanzen“ wie Reben.

Die Antwort auf Hänis Fragen ist einfach. Sie steht in der Agenda 21, dem Konsenspapier für eine globale nachhaltige Entwicklung. Am UNO-Gipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahre 1992 hat auch die Schweiz dieses Dokument unterzeichnet. Und seit 1999 steht in der Bundesverfassung, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft die nachhaltige Entwicklung fördert.

Wissenschaft im Dienst der nachhaltigen Entwicklung

Agenda 21, Kapitel 35 Absatz 3: „Angesichts der Gefahr irreversibler Umweltschäden sollte ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit nicht als Entschuldigung dafür dienen, Maßnahmen hinauszuzögern, die in sich selbst gerechtfertigt sind. Bei Maßnahmen, die sich auf komplexe Systeme beziehen, die noch nicht voll verstanden worden sind und bei denen die Folgewirkungen von Störungen noch nicht vorausgesagt werden können, könnte der Vorsorgeansatz als Ausgangsbasis dienen.“

Die Feldsaison naht.
Dürfen die Bauern weiterhin Glyphosat auf die Äcker sprühen?
In den Grundwasserschutzzonen?
Direkt neben Trinkwasserfassungen?
Ist das Vorsorge?
Ist das nachhaltig?
Verfassungskonform?
Rio-konform?
Oder eher industriefreundlich?
SBV-bauernfreundlich?

Nachtrag vom 16.2.16: Der Geissenpeter meldet: „Ich habe einmal bei einem Lohnbrenner gearbeitet. Gewisse Bauern liessen regelmässig grosse Mengen Schnaps illegal und an den Steuern vorbei brennen. Das hat ihn jeweils auf die Palme gebracht; an solchen Tagen war er unausstehlich. Aber was sollte er machen? Sein Gewerbe mit einer Anzeige ruinieren?

Was der Siegfried aus Deutschland in seinem Kommentar schreibt, ist auch wichtig.“

(Ex-)Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf an der DistiSuisse-Prämierung 2015, Agroscope-Videos youtube.

15.2.16 HOME

 

 

Gewässerschutz-Ziele: Kluft zwischen Gesetz und Wirklichkeit!

6. Januar 2016
An kleinen Bächen sind die Pufferstreifen und das Einhalten der Sicherheitsabstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln darum so wichtig, weil hier die Artenvielfalt mangels Verdünnung besonders stark leidet. Copyright: Universität Koblenz-Landau (Medieninformation Insektizidbelastung in Gewässern ist weltweit höher als erwartet, 14.04.15 https://www.uni-koblenz-landau.de/de/aktuell/archiv-2015/studie-insektizidbelastung)

An kleinen Bächen sind die Pufferstreifen und das Einhalten der Sicherheitsabstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln darum so wichtig, weil hier die Artenvielfalt mangels Verdünnung besonders stark leidet. Copyright: Universität Koblenz-Landau (Medieninformation Insektizidbelastung in Gewässern ist weltweit höher als erwartet, 14.04.15 https://www.uni-koblenz-landau.de/de/aktuell/archiv-2015/studie-insektizidbelastung)

Der Geissenpeter besuchte Heidi und den Alpöhi, brachte einen Käse und gute Laune mit. Bei Alpenkräuter-Tee und Kuchen diskutierten sie viel und heftig, etwa über verschmutzte Gewässer, Pflanzenschutzmittel (PSM), Nitrat und Sinn von Gesetzen sowie den Gesetzesvollzug. Was Heidi eigentlich wolle, fragte Peter. Sie schaltete den Computer ein, klickte auf den Link zur Gewässerschutzverordnung (GSchV) und scrollte zum Anhang 1. Was auf dem Bildschirm stand, war für Peter völlig neu, denn Gesetze interessieren ihn nicht sonderlich.

Peter: Das Ziel ist also offenbar, die ganzen Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen in und an den Gewässern zu schützen. Man will die natürlichen Gewässerfunktionen erhalten. Und die Trink- und Brauchwasserversorgung soll gesichert sein. Ja, das Vorsorgeprinzip! Die Grossmutter sagt auch immer: Vorbeugen ist besser als heilen!“ So fasste Peter das Gelesene zusammen.

Heidi: „Ja, deshalb soll etwa das Grundwasser prinzipiell keine langlebigen künstlichen Substanzen enthalten, auch keine Pestizide oder deren Abbauprodukte. Du siehst also, die Ökosysteme als Ganzes sind, mindestens theoretisch, gut geschützt, auch jene, die vom Grundwasser abhängen. Es gilt daher, nicht nur ein paar Rote Liste-Arten zu schonen, sondern die vernetzten Lebensgemeinschaften.

Für Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird oder vorgesehen ist, haben die Gesetzesschreiber folgenden Satz verfasst: ‚Die Wasserqualität muss so beschaffen sein, dass das Wasser nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung einhält.‘

Überhaupt: Die Vorsorge ist in verschiedenen Gesetzen gut verankert, doch gelebt wird zu häufig nicht danach. Schade!“

Peter: „Im Anhang 2 GSchV sind Anforderungswerte für verschiedene Stoffe aufgeführt. Was bedeutet Anforderungswert, wo doch alle von Grenzwerten reden?“

Heidi: „Ein Anforderungswert ist quasi ein Warnsignal; er liegt tiefer als ein Grenzwert, wird auch anders begründet; ein Anforderungswert bietet Raum zum Handeln. Das Überschreiten des Werts ist Auslöser für Abwehr- und Sanierungsmassnahmen bzw. müsste es sein. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass beim Überschreiten des Anforderungswerts das Grundwasser oder das Wasser im Bach verunreinigt ist. Grundwasser, das zur Trinkwassergewinnung genutzt wird, muss saniert werden.“

Peter: „Wie macht man das? Und wie lange dauert es?“

Heidi: „Ich kann darauf keine konkrete Antwort geben, denn das hängt von der Art und dem Ausmass der Verunreinigung ab. Auch die Wirksamkeit der möglichen Massnahmen spielt eine Rolle. Und natürlich die Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt durch den kritischen Stoff oder die Stoffe im Grundwasser. Oft ist es ja eine Mischung. Es kann Jahrzehnte dauern, bis das einmal verschmutzte Grundwasser wieder sauber ist, wenn überhaupt.“

m Eschelisbach TG untersucht das Oekotoxzentrum Eawag/EPFL u.a. den Bachflohkrebs. Wo es ihm gut geht, d.h. verschiedene Entwicklungsstadien vorhanden sind, da gedeihen auch die Fische. Im Bild oben zwei Jugendstadien. Copyright: Ludwig Tent, Lebendige Bäche und Flüsse, https://osmerus.wordpress.com/ Danke für Hinweis und Veröffentlichungsrecht!

Im Eschelisbach TG untersucht das Oekotoxzentrum Eawag/EPFL u.a. den Bachflohkrebs. Wo es ihm gut geht, d.h. verschiedene Entwicklungsstadien vorhanden sind, da gedeihen auch die Fische. Im Bild oben zwei Jugendstadien. Copyright: Ludwig Tent, Lebendige Bäche und Flüsse, https://osmerus.wordpress.com/ Danke für Hinweis und Veröffentlichungsrecht!

Peter: „Das leuchtet mir einigermassen ein. Aber wie kommt es, dass Anforderungswerte um das 20- bis 90fache überschritten werden, wie im Eschelisbach bei Güttingen (TG)? Das Bundesamt für Landwirtschaft sagt, dass dies ’sicher kein Risiko für Mensch und Umwelt‘ sei. Das irritiert mich. Hier im Anhang 1 der GSchV, Ökologische Ziele für oberirdische Gewässer, lese ich

‚Die Wasserqualität soll so beschaffen sein, dass:
b) im Wasser, in den Schwebstoffen und in den Sedimenten keine künstlichen, langlebigen Stoffe enthalten sind;
c) andere Stoffe, die Gewässer verunreinigen können und die durch menschliche Tätigkeit ins Wasser gelangen können, im Gewässer nur in nahe bei Null liegenden Konzentrationen vorhanden sind, wenn sie dort natürlicherweise nicht vorkommen.‘

Da liegen doch Welten zwischen Gesetz und Wirklichkeit! Wie kommt das, was meinst du? Zum Glück bin ich zur Zeit bloss Geisshirt, und – dir zuliebe – bekämpfe ich seit letztem Sommer die Unkräuter nicht mehr mit Chemie.“

Heidi: „Ich weiss, du gibst dir Mühe. Doch heute ist die Anwendung von PSM für viele so selbstverständlich, dass das ewige Spritzen kaum hinterfragt wird, d.h. durch alle Böden verteidigt wird*, und zwar auch dann, wenn es andere wirksame Methoden gäbe.

Klipp und klar ist in der Gewässerschutzverordnung verankert, dass gehandelt werden muss, wenn ein Anforderungswert überschritten wird, z.B. 0,1 µg/l je Wirkstoff PSM, und zwar völlig unabhängig davon, ob ’sicher kein Risiko für Mensch und Umwelt‘ besteht. Der Eschelisbach erfüllt die Anforderungen an ein Gewässer nicht im Entferntesten.

Bemerkenswert ist, dass dieser Missstand nicht durch Behörden, sondern durch das Schweizer Fernsehen öffentlich gemacht wurde. Wie viele „Eschelisbäche“ gibt es?“

Alpöhi: „Mich stört, dass die Gewässer in den Obstbau-, Weinbau- und Ackerbaugebieten nicht gezielt und systematisch untersucht werden; es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie sogar noch stärker verschmutzt wären, als wir annehmen. Risiko? Peter, du weisst doch ganz genau, welchen riesigen Einfluss eure InteressenvertreterInnen auf Behörden und Parlament haben! Aber wenigstens dann, wenn ein Anforderungswert überschritten ist, müsste doch die zuständige kantonale Behörde gemäss Art. 47 der GSchV handeln. Das kann dir Heidi besser erklären.“

Heidi:Die kantonale Behörde muss (müsste!!!):

  • Die Art, das Ausmass und die Ursache der Verunreinigung ermitteln und bewerten.
  • Sodann muss sie prüfen, welche Massnahmen technisch und betrieblich möglich sind, z.B. müsste sie den Zuströmbereich ausscheiden, innerhalb desselbigen den Pestizideinsatz einschränken und, falls nötig, die im Übermass vorhandenen Wirkstoffe verbieten, grössere Gewässerabstände vorschreiben und abklären, ob Drainagen oder andere direkte Verbindungen zwischen behandelten Flächen und dem betroffenen Gewässer bestehen.
  • Die Behörde muss zudem die Wirksamkeit der Massnahmen ermitteln und die geeigneten Massnahmen zum Beheben der Ursachen der Verunreinigungen anordnen.

Du siehst, es gibt viel Arbeit für die BeamtInnen, wenn sie das Problem ernst nehmen. Und es ist ein grosses Problem! Handlungsbedarf besteht auch beim Grundwasser, denn Rückstände von Pestiziden, d.h. von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen und -Abbauprodukten, treten landesweit an 20% der Messstellen in Konzentrationen von über 0,1 µg/l auf. In intensiv ackerbaulich genutzten Gebieten liegen die Konzentrationen einzelner oder mehrerer Substanzen sogar an 70% der Messstellen über diesem Wert.

Nicht viel besser sieht es beim Nitrat aus. Der Anforderungswert von 25 mg/l wird landesweit an bis zu 25% der beprobten Messstellen deutlich überschritten. In überwiegend ackerbaulich genutzten Gebieten liegen die Konzentrationen an bis zu 60% der Messstellen über diesem Wert.

Wird das Warnsignal von den zuständigen Behörden wahrgenommen? Wird gehandelt? Das frage ich mich immer wieder. Wahrscheinlich wartet man in den meisten Fällen ab. Worauf? Auf ein Wunder?“

Grundwasser bildet sich vor allem durch Versickern von Niederschlagswasser. Grafik: Claus J. Lienau, München, © Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt; einmaliges Nutzungsrecht für diese Veröffentlichung erteilt durch LfU.

Grundwasser bildet sich vor allem durch Versickern von Niederschlagswasser. Grafik: Claus J. Lienau, München, © Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt; einmaliges Nutzungsrecht für diese Veröffentlichung erteilt durch LfU.

Alpöhi: „Behörden sind oft überlastet. Während sie nichts unternehmen, gelangen aus verschmutzten Bächen und durch Versickern von Niederschlägen weiterhin Schadstoffe ins Grundwasser. Ein weiteres Problem ist die Speisung des Grundwassers. Der Wasserverbrauch pro Kopf sinkt zwar, aber die Einwohnerzahl steigt, und es braucht immer mehr Wasser zum Bewässern usw. Wenn es mit dem Siedlungs- und Strassenbau so weitergeht, dann fliesst immer noch mehr Wasser oberirdisch ab, statt unsere Grundwasserreserven zu speisen.

Wir haben eben früher in der Schule noch gelernt, wie Grundwasser entsteht; das wurde wohl aus den Lehrplänen gestrichen. Und wie es mit den Niederschlägen in Zukunft aussehen wird, das wissen wir nicht. Sicher aber müssen wir dem Grundwasser schon heute Sorge tragen!“

Heidi: „Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat eine gute Dokumentation zusammengestellt über Wasser, Wasserforscher.de, mit separaten Seiten für Schüler und Lehrer. Darin gibt’s ein Kapitel Wie entsteht Grundwasser. Anschaulich beschrieben und bebildert. Das musst du dir einmal anschauen, Peter!“

Peter: „In der landwirtschaftlichen Schule lernten wir den Wasserkreislauf, aber das habe ich längst vergessen, und, ehrlich gesagt, das interessierte mich damals nicht.

Langsam brummt mir der Kopf vor lauter Paragraphen! Ihr könnt mir ein anderes Mal weitererzählen. Ich habe sowieso der Grossmutter versprochen, ihr heute noch etwas vorzulesen. Und danach möchte ich Bulle und Bär anschauen, Der Bulle von Tölz.“

Nachdenklich schaut Heidi dem Peter nach. Was hatte ihr Herr Sesemann kürzlich geschrieben? „Wir haben schon lange einen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, aber genützt hat er bisher nicht viel.“

Derweil übt die Schweizer Armee für das WEF. Es dröhnt am Himmel. Je nach Wetter wird man die Spuren von Drohnen sehen.

Biomonitoring mit Gammarus pulex im landwirtschaftlich intensiv belasteten Eschelisbach, Thurgau, Oekotoxzentrum Eawag-EPFL, Zentrum für angewandte Ökotoxikologie in der Schweiz. Gammarus pulex ist der Bachflohkrebs.

Zustand des Grundwassers, Bundesamt für Umwelt BAFU

* Erklärung der Redewendung durch alle Böden und ihrer Herkunft für NichtschweizerInnen siehe Kommentar zu Durch alle Böden — Neue (alte) Schweizer Lieblingsredewendungen, Blogwiese, 18.2.8

8.1.16 HOME

Grundwasser: Gefährden neue Grenzwerte das Vorsorgeprinzip?

10. März 2013

Die Gesetzeslage ist klar: Die Qualität des Grundwassers soll so beschaffen sein, dass im Wasser keine künstlichen, langlebigen Stoffe enthalten sind …, Gewässerschutzverordnung (GSchV Anh.1 Ziff. 2 Abs. 3 Bst b und c). Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird, muss nach einfacher Aufbereitung den Anforderungen des Lebensmittelrechts (Fremd- und Inhaltsstoffverordnung FIV) genügen. Für Pflanzenschutzmittel und deren Abbauprodukte ist in der Regel ein Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter je Einzelstoff einzuhalten.

Grundwasserschutz ist auch Trinkwasserschutz. Brunnen am Landsgemeindeplatz Trogen.

Grundwasserschutz ist auch Trinkwasserschutz. Brunnen am Landsgemeindeplatz Trogen.

Das TTC-Konzept

Dank moderner Untersuchungsmethoden finden die Wasserversorger immer mehr Fremdstoffe im Trinkwasser, die Mehrzahl stammt aus der Landwirtschaft. Wie schädlich sind sie? Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) einen Leitfaden für den Umgang mit nicht geregelten Fremdstoffen im Trinkwasser ausgearbeitet. Im Rahmen der Revision des Lebensmittelrechts (Anpassung an EU-Recht und an den Stand von Wissenschaft und Technik), werden Höchstkonzentrationen festgelegt, dies mit hilfe des TTC-Konzepts (Threshold of Toxicological Concern). Das TTC-Konzept funktioniert nicht, wenn ein Stoff ein hohes toxisches Potenzial hat, wenn die Gefahr von Allergien besteht, zudem werden nicht alle Expositionspfade berücksichtigt, desgleichen wird z.B. das Entstehen von Umwandlungsprodukten und Mischungen nicht einbezogen. Die Vernehmlassung läuft bis 15.3.13.

Bedeutung der Grenzwerte

Grenzwerte sind allgemein eine unsichere Sache. Sie steigen oft mit zunehmender Verschmutzung! Das Risiko wird nach EU-Modellszenarien bewertet; kaum berücksichtigt werden dabei das Schweizer Klima und unsere Böden. Toxikologisch begründet sind weder der Anforderungswert der GSchV für organische Pflanzenschutzmittel noch der für sämtliche Pflanzenschutzmittel und deren Abbauprodukte einheitliche Toleranzwert im Lebensmittelrecht; wo doch die Stoffe so verschieden wirken! Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln stützt sich das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) auf die Angaben der Industrie und auf international übliche Regeln. Eigeninitiative und -verantwortung haben hier keinen Platz. Besteht die offensichtliche Gefahr, dass der Grenzwert im Wasser +/- erreicht wird (aber nicht massiv überschritten), verhängt das BLW eine Verbot für den Einsatz in der Grundwasserschutzzone S2, siehe Liste der 11 verbotenen PSM. Bei der Anwendung wird vorschriftsgemässer Umgang vorausgesetzt.

Vorsorgen ist besser …

Vertreter der Wasserversorgung kritisieren die vom BAG festgesetzten sehr hohen Grenzwerte für bisher „nicht geregelte Fremdstoffe“ und befürchten, dass dem intensiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Tür und Tor geöffnet werden könnte. Sie fordern die betroffenen Bundesämter auf, sich klar zum Vorsorgeprinzip zu bekennen. Und die Kantone sollen die Gewässerschutzgesetzgebung konsequent umsetzen und bei Überschreiten der Grenzwerte griffige Massnahmen ergreifen. „Auch wenn einige Pestizide und Herbizide keine direkte Gesundheitsgefährdung darstellen, sie gehören definitiv nicht ins Trinkwasser“, so die Meinung des Branchenverbands der Schweizerischen Trinkwasserversorger (SVGW), siehe Wasserfachtagung über den Umgang mit nicht geregelten Fremdstoffen im Trinkwasser vom 9.3.12. Eine enge Zusammenarbeit pflegen, das ist ein Vorsatz, den sich alle zu Herzen nehmen wollten. Hoffentlich wird man sich daran erinnern in Zeiten zunehmender Arbeitsbelastung.
Zusammenfassung Fachtagung: Umgang mit nicht geregelten Fremdstoffen im Trinkwasser
Folien der Vorträge, 7,4 MB

Was ist zu tun? Vorsorge, Vorsorge, Vorsorge! Pflanzenschutzmittel (PSM), die ins Grundwasser gelangen können, sind zu verbieten, meint Heidi, und das unter Bauern-Druck gestrichene Verbot des Einsatzes von PSM in der Grundwasserschutzzone S2 ist wieder einzuführen. Hinterfragt werden soll der gedankenlose Einsatz von PSM; oft gibt es auch andere Lösungen.

Und so sprach kürzlich ein energischer Mitmensch zu den Bauern seiner Gemeinde: „Ihr Bauern seid zwar die „Feldherren“, aber das Grundwasser gehört allen Menschen!“ Papierener steht es als Grundsatz im Gewässerschutzgesetz: Es ist untersagt, Stoffe, die Wasser verunreinigen können … versickern zu lassen.

Heidis Artikel zum Thema:

Das Grundwasser lebt

Bundesrat gewichtet Freiheit der Bauern höher als Trinkwasserqualität

Der Gewässerraum und die Bauern

Grundwasserschutzzonen: Wer weiss Bescheid?

10.3.13 HOME


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