
An kleinen Bächen sind die Pufferstreifen und das Einhalten der Sicherheitsabstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln darum so wichtig, weil hier die Artenvielfalt mangels Verdünnung besonders stark leidet. Copyright: Universität Koblenz-Landau (Medieninformation Insektizidbelastung in Gewässern ist weltweit höher als erwartet, 14.04.15 https://www.uni-koblenz-landau.de/de/aktuell/archiv-2015/studie-insektizidbelastung)
Der Geissenpeter besuchte Heidi und den Alpöhi, brachte einen Käse und gute Laune mit. Bei Alpenkräuter-Tee und Kuchen diskutierten sie viel und heftig, etwa über verschmutzte Gewässer, Pflanzenschutzmittel (PSM), Nitrat und Sinn von Gesetzen sowie den Gesetzesvollzug. Was Heidi eigentlich wolle, fragte Peter. Sie schaltete den Computer ein, klickte auf den Link zur Gewässerschutzverordnung (GSchV) und scrollte zum Anhang 1. Was auf dem Bildschirm stand, war für Peter völlig neu, denn Gesetze interessieren ihn nicht sonderlich.
Peter: „Das Ziel ist also offenbar, die ganzen Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen in und an den Gewässern zu schützen. Man will die natürlichen Gewässerfunktionen erhalten. Und die Trink- und Brauchwasserversorgung soll gesichert sein. Ja, das Vorsorgeprinzip! Die Grossmutter sagt auch immer: Vorbeugen ist besser als heilen!“ So fasste Peter das Gelesene zusammen.
Heidi: „Ja, deshalb soll etwa das Grundwasser prinzipiell keine langlebigen künstlichen Substanzen enthalten, auch keine Pestizide oder deren Abbauprodukte. Du siehst also, die Ökosysteme als Ganzes sind, mindestens theoretisch, gut geschützt, auch jene, die vom Grundwasser abhängen. Es gilt daher, nicht nur ein paar Rote Liste-Arten zu schonen, sondern die vernetzten Lebensgemeinschaften.
Für Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird oder vorgesehen ist, haben die Gesetzesschreiber folgenden Satz verfasst: ‚Die Wasserqualität muss so beschaffen sein, dass das Wasser nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung einhält.‘
Überhaupt: Die Vorsorge ist in verschiedenen Gesetzen gut verankert, doch gelebt wird zu häufig nicht danach. Schade!“
Peter: „Im Anhang 2 GSchV sind Anforderungswerte für verschiedene Stoffe aufgeführt. Was bedeutet Anforderungswert, wo doch alle von Grenzwerten reden?“
Heidi: „Ein Anforderungswert ist quasi ein Warnsignal; er liegt tiefer als ein Grenzwert, wird auch anders begründet; ein Anforderungswert bietet Raum zum Handeln. Das Überschreiten des Werts ist Auslöser für Abwehr- und Sanierungsmassnahmen bzw. müsste es sein. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass beim Überschreiten des Anforderungswerts das Grundwasser oder das Wasser im Bach verunreinigt ist. Grundwasser, das zur Trinkwassergewinnung genutzt wird, muss saniert werden.“
Peter: „Wie macht man das? Und wie lange dauert es?“
Heidi: „Ich kann darauf keine konkrete Antwort geben, denn das hängt von der Art und dem Ausmass der Verunreinigung ab. Auch die Wirksamkeit der möglichen Massnahmen spielt eine Rolle. Und natürlich die Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt durch den kritischen Stoff oder die Stoffe im Grundwasser. Oft ist es ja eine Mischung. Es kann Jahrzehnte dauern, bis das einmal verschmutzte Grundwasser wieder sauber ist, wenn überhaupt.“

Im Eschelisbach TG untersucht das Oekotoxzentrum Eawag/EPFL u.a. den Bachflohkrebs. Wo es ihm gut geht, d.h. verschiedene Entwicklungsstadien vorhanden sind, da gedeihen auch die Fische. Im Bild oben zwei Jugendstadien. Copyright: Ludwig Tent, Lebendige Bäche und Flüsse, https://osmerus.wordpress.com/ Danke für Hinweis und Veröffentlichungsrecht!
Peter: „Das leuchtet mir einigermassen ein. Aber wie kommt es, dass Anforderungswerte um das 20- bis 90fache überschritten werden, wie im Eschelisbach bei Güttingen (TG)? Das Bundesamt für Landwirtschaft sagt, dass dies ’sicher kein Risiko für Mensch und Umwelt‘ sei. Das irritiert mich. Hier im Anhang 1 der GSchV, Ökologische Ziele für oberirdische Gewässer, lese ich
‚Die Wasserqualität soll so beschaffen sein, dass:
b) im Wasser, in den Schwebstoffen und in den Sedimenten keine künstlichen, langlebigen Stoffe enthalten sind;
c) andere Stoffe, die Gewässer verunreinigen können und die durch menschliche Tätigkeit ins Wasser gelangen können, im Gewässer nur in nahe bei Null liegenden Konzentrationen vorhanden sind, wenn sie dort natürlicherweise nicht vorkommen.‘
Da liegen doch Welten zwischen Gesetz und Wirklichkeit! Wie kommt das, was meinst du? Zum Glück bin ich zur Zeit bloss Geisshirt, und – dir zuliebe – bekämpfe ich seit letztem Sommer die Unkräuter nicht mehr mit Chemie.“
Heidi: „Ich weiss, du gibst dir Mühe. Doch heute ist die Anwendung von PSM für viele so selbstverständlich, dass das ewige Spritzen kaum hinterfragt wird, d.h. durch alle Böden verteidigt wird*, und zwar auch dann, wenn es andere wirksame Methoden gäbe.
Klipp und klar ist in der Gewässerschutzverordnung verankert, dass gehandelt werden muss, wenn ein Anforderungswert überschritten wird, z.B. 0,1 µg/l je Wirkstoff PSM, und zwar völlig unabhängig davon, ob ’sicher kein Risiko für Mensch und Umwelt‘ besteht. Der Eschelisbach erfüllt die Anforderungen an ein Gewässer nicht im Entferntesten.
Bemerkenswert ist, dass dieser Missstand nicht durch Behörden, sondern durch das Schweizer Fernsehen öffentlich gemacht wurde. Wie viele „Eschelisbäche“ gibt es?“
Alpöhi: „Mich stört, dass die Gewässer in den Obstbau-, Weinbau- und Ackerbaugebieten nicht gezielt und systematisch untersucht werden; es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie sogar noch stärker verschmutzt wären, als wir annehmen. Risiko? Peter, du weisst doch ganz genau, welchen riesigen Einfluss eure InteressenvertreterInnen auf Behörden und Parlament haben! Aber wenigstens dann, wenn ein Anforderungswert überschritten ist, müsste doch die zuständige kantonale Behörde gemäss Art. 47 der GSchV handeln. Das kann dir Heidi besser erklären.“
Heidi: „Die kantonale Behörde muss (müsste!!!):
- Die Art, das Ausmass und die Ursache der Verunreinigung ermitteln und bewerten.
- Sodann muss sie prüfen, welche Massnahmen technisch und betrieblich möglich sind, z.B. müsste sie den Zuströmbereich ausscheiden, innerhalb desselbigen den Pestizideinsatz einschränken und, falls nötig, die im Übermass vorhandenen Wirkstoffe verbieten, grössere Gewässerabstände vorschreiben und abklären, ob Drainagen oder andere direkte Verbindungen zwischen behandelten Flächen und dem betroffenen Gewässer bestehen.
- Die Behörde muss zudem die Wirksamkeit der Massnahmen ermitteln und die geeigneten Massnahmen zum Beheben der Ursachen der Verunreinigungen anordnen.
Du siehst, es gibt viel Arbeit für die BeamtInnen, wenn sie das Problem ernst nehmen. Und es ist ein grosses Problem! Handlungsbedarf besteht auch beim Grundwasser, denn Rückstände von Pestiziden, d.h. von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen und -Abbauprodukten, treten landesweit an 20% der Messstellen in Konzentrationen von über 0,1 µg/l auf. In intensiv ackerbaulich genutzten Gebieten liegen die Konzentrationen einzelner oder mehrerer Substanzen sogar an 70% der Messstellen über diesem Wert.
Nicht viel besser sieht es beim Nitrat aus. Der Anforderungswert von 25 mg/l wird landesweit an bis zu 25% der beprobten Messstellen deutlich überschritten. In überwiegend ackerbaulich genutzten Gebieten liegen die Konzentrationen an bis zu 60% der Messstellen über diesem Wert.
Wird das Warnsignal von den zuständigen Behörden wahrgenommen? Wird gehandelt? Das frage ich mich immer wieder. Wahrscheinlich wartet man in den meisten Fällen ab. Worauf? Auf ein Wunder?“

Grundwasser bildet sich vor allem durch Versickern von Niederschlagswasser. Grafik: Claus J. Lienau, München, © Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt; einmaliges Nutzungsrecht für diese Veröffentlichung erteilt durch LfU.
Alpöhi: „Behörden sind oft überlastet. Während sie nichts unternehmen, gelangen aus verschmutzten Bächen und durch Versickern von Niederschlägen weiterhin Schadstoffe ins Grundwasser. Ein weiteres Problem ist die Speisung des Grundwassers. Der Wasserverbrauch pro Kopf sinkt zwar, aber die Einwohnerzahl steigt, und es braucht immer mehr Wasser zum Bewässern usw. Wenn es mit dem Siedlungs- und Strassenbau so weitergeht, dann fliesst immer noch mehr Wasser oberirdisch ab, statt unsere Grundwasserreserven zu speisen.
Wir haben eben früher in der Schule noch gelernt, wie Grundwasser entsteht; das wurde wohl aus den Lehrplänen gestrichen. Und wie es mit den Niederschlägen in Zukunft aussehen wird, das wissen wir nicht. Sicher aber müssen wir dem Grundwasser schon heute Sorge tragen!“
Heidi: „Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat eine gute Dokumentation zusammengestellt über Wasser, Wasserforscher.de, mit separaten Seiten für Schüler und Lehrer. Darin gibt’s ein Kapitel Wie entsteht Grundwasser. Anschaulich beschrieben und bebildert. Das musst du dir einmal anschauen, Peter!“
Peter: „In der landwirtschaftlichen Schule lernten wir den Wasserkreislauf, aber das habe ich längst vergessen, und, ehrlich gesagt, das interessierte mich damals nicht.
Langsam brummt mir der Kopf vor lauter Paragraphen! Ihr könnt mir ein anderes Mal weitererzählen. Ich habe sowieso der Grossmutter versprochen, ihr heute noch etwas vorzulesen. Und danach möchte ich Bulle und Bär anschauen, Der Bulle von Tölz.“
Nachdenklich schaut Heidi dem Peter nach. Was hatte ihr Herr Sesemann kürzlich geschrieben? „Wir haben schon lange einen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, aber genützt hat er bisher nicht viel.“
Derweil übt die Schweizer Armee für das WEF. Es dröhnt am Himmel. Je nach Wetter wird man die Spuren von Drohnen sehen.
Biomonitoring mit Gammarus pulex im landwirtschaftlich intensiv belasteten Eschelisbach, Thurgau, Oekotoxzentrum Eawag-EPFL, Zentrum für angewandte Ökotoxikologie in der Schweiz. Gammarus pulex ist der Bachflohkrebs.
Zustand des Grundwassers, Bundesamt für Umwelt BAFU
* Erklärung der Redewendung durch alle Böden und ihrer Herkunft für NichtschweizerInnen siehe Kommentar zu Durch alle Böden — Neue (alte) Schweizer Lieblingsredewendungen, Blogwiese, 18.2.8
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